Landeshauptstadt: „Reglos mit blutenden Kopfverletzungen“
Jakobs: Festnahmen sind „wichtiges Signal“ / Ermittler hatten zahlreiche Spuren / Tatnacht rekonstruiert
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Nach dem schnellen Fahndungserfolg vier Tage nach dem versuchten Mord an Ermyas M. hat sich Oberbürgermeister Jann Jakobs gestern Abend erleichtert gezeigt. Die vorläufige Festnahme der zwei 29 und 30 Jahre alten Tatverdächtigen sei „ein wichtiges Signal“, sagte Jakobs den PNN. Damit sei ein „erster Erfolg“ der 25-köpfigen Sonderkommission „Soko Charlottenhof“ sichtbar. Der erste Zugriff der Potsdamer Polizei erfolgte gestern Nachmittag – der zweite am späten Nachmittag, beide offenbar in Potsdam.
Schon kurz nach der Tat hieß es aus Ermittlerkreisen, man werde wohl relativ zügig zum Erfolg kommen. Der Grund: Die Spurenlage nach dem Überfall war ungewöhnlich gut. Die Fahnder kennen vom Mitschnitt auf der Handy-Mailbox der Ehefrau des Opfers die Stimmen der Täter. Am Tatort und am Körper von Ermyas M. stellten die Ermittler Fingerabdrücke und Genmaterial von den Tatverdächtigen fest. Außerdem liegt eine Personenbeschreibung der mutmaßlichen Täter vor, die der Taxifahrer, der den Überfall entdeckt hatte, den Polizisten gegeben hatte. Zwar konnte er die Täter nicht genau beschreiben – dafür aber die auffällige Kleidung eines Täters: Bomberjacke mit markanter weißer Aufschrift.
Die Tatnacht lässt sich mit diesen und weiteren Erkenntnissen weitgehend rekonstruieren:
3.28 Uhr: Ermyas M. steigt an der Haltestelle „Charlottenhof“ in den Nachtbus N 31 ein. Im Fahrerbereich zeichnet die Videoüberwachung auf, wie er den Nachtzuschlag von 50 Cent mit einem 20-Euro- Schein bezahlen will. Als der Busfahrer dem fast zwei Meter großen Mann das Wechselgeld in Münzen geben will, soll Ermyas M. unwirsch reagiert haben, so die Aussage des Busfahrers. Ermyas M. fordert seinen 20-Euro-Schein zurück und steigt wieder aus dem Bus aus. Aus Polizeikreisen hieß es, dass das Opfer zur Tatzeit „erheblich alkoholisiert“ gewesen sei.
3.58 Uhr: Ermyas M. ruft seine Frau an. Sie geht nicht ans Handy, der Anrufbeantworter springt an. Eine Minute und 50 Sekunden dauert der Teil des Telefonats, den die Polizei nach der Tat veröffentlichte. Ermyas M. hinterlässt auf der Mailbox jedoch eine längere Nachricht – der erste Teil enthält private Mitteilungen des Opfers an seine Frau. Auf dem von der Polizei veröffentlichten Teil der Aufnahme ist deutlich das Geräusch eines Fahrzeugs zu hören. Wahrscheinlich handelt es sich um das Taxi des wichtigsten Zeugen, der in der nahe gelegenen Diskothek Gäste abholen soll. Der Taxifahrer, der Ermyas M. möglicherweise das Leben rettet, sagt später aus, dass er den 37-Jährigen und zwei weitere Personen bereits auf der Hinfahrt an der Haltestelle sah, und dass sie in einen Disput verwickelt waren. Stammt das Fahrzeuggeräusch tatsächlich von dem Taxi, war der Fahrer Zeuge einer verbalen Auseinandersetzung am Straßenrand, die bereits aggressive Züge annahm. Dabei wiederholt das spätere Opfer immer wieder die Beschimpfungen seiner Kontrahenten. So ist unter anderem „dreckiger Nigger“ zu vernehmen und die Frage von Ermyas M.: „Warum sagst Du Nigger zu mir?“. Ob sich Opfer und Täter in diesem Moment noch an der Haltestelle oder schon am Tatort befinden, ist bislang unklar. Später wird bekannt, dass Ermyas M. auch beraubt wurde: Es fehlen laut Polizei etwa 200 Euro, ein Schlüsselbund und weitere Gegenstände. Zudem wurden Glasscherben am Tatort entdeckt, teilweise mit Blutspuren, die nicht dem Opfer zugeordnet werden konnten.
4.02 Uhr: Der Nachtbus N 18 fährt an der Haltestelle „Charlottenhof“ vorbei. Im Bus sitzen mehrere Jugendliche, keiner will aus- oder einsteigen. Der Fahrer gibt an, nichts Ungewöhnliches an der Haltestelle bemerkt zu haben. Dies sei „äußerst glaubwürdig“, so PNN-Informationen, denn der Fahrer ist bei einer freiwilligen Feuerwehr aktiv. Zudem kannte er das Opfer von vorherigen Nachtfahrten.
4:05 Uhr: Das Taxi fährt von der Diskothek zurück Richtung Stadtmitte. Etwa 15 bis 20 Meter von der Haltestelle entfernt in Richtung Innenstadt sieht der Fahrer einen Mann vor einem unbebauten Grundstück am Boden liegen und zwei Personen, die sich über ihn beugen. Ohne Rücksicht auf seine Gäste zu nehmen, hält der Taxifahrer an und steigt aus. Die beiden Personen fliehen Richtung Innenstadt, der Taxifahrer nimmt die Verfolgung auf. An der Einmündung zur Stiftstraße stoppt er die Verfolgung, kehrt zum Tatort zurück
4:07 Uhr: Der Notruf des Taxifahrers geht bei der Polizei ein.
4:08 Uhr: Der erste Streifenwagen trifft am Tatort ein, in kürzester Zeit sind drei weitere Einsatzfahrzeuge zur Stelle. Die Bundesanwaltschaft teilte gestern mit, Ermyas M. habe „reglos mit stark blutenden Kopfverletzungen“ am Boden gelegen.
Er schwebte gestern Abend noch immer in Lebensgefahr. pet/ERB/SCH
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