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Kopfkino. Sven Schreiber mit dem Prototyp der VR-Brille.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Reise im Kopf

Das Potsdamer Unternehmen Progressive3d.com entwickelt für eine Brille, die ihre Träger in fremde Welten versetzt.

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Was für ein Anblick: Hoch ragt die schroffe Felseninsel in den blauen Himmel empor, eine Felstreppe, die bis ins seichte Wasser reicht, gewährt Zutritt zu dem Eiland. In der Ferne ist ein pittoresker Hafen zu erkennen, ein Blick nach schräg oben offenbart eine Burg, die spektakulär auf einer steilen Klippe thront. Staunend schaut man den kreisenden Möwen nach – bis einem einfällt, dass man gerade zu Hause in seinen eigenen vier Wänden steht. „Gerne hätte ich Ihnen auch die Nordlichter am Nachthimmel über Schweden gezeigt“, sagt Sven Schreiber, Geschäftsführer der Potsdamer IT-Unternehmen Progressive3D.com und Schreiber & Friends, „aber den habe ich gerade nicht dabei.“

Natürlich war der kurze Insel-Ausflug nur vorgegaukelt: Abgespielt hat er sich komplett hinter zwei Gläsern der sogenannten VR-Brille. Progressive3D.com ist Entwickler der ersten Stunde für solche virtuellen Welten. VR steht für „Virtual Reality“, also virtuelle Wirklichkeit. Es ist noch ein Prototyp, an dem die Firma bereits länger arbeitet, die breite Öffentlichkeit wird das Gerät vermutlich erst zur Internationalen Funkausstellung (IFA) 2015 zu Gesicht bekommen.

Bis dahin sollen viele Kinderkrankheiten ausgemerzt sein: „Momentan kann einem noch schlecht werden“, sagt Schreiber. In der Tat: Beim Test macht die ungewohnte Optik schwindlig, zudem verwirrt die Unsichtbarkeit des eigenen Körpers den Orientierungssinn. „Daran arbeiten wir gerade“, erklärt Schreiber, „eine Teillösung dafür haben wir schon.“ Auch den Körper zu sehen, soll künftig problemlos möglich sein, so Schreiber, „oder einen anderen, man kann sich ja auch den Körper eines Bodybuilders aussuchen.“

Wer die VR-Brille aufhat, kann den Kopf in alle Richtungen drehen und sich so in der jeweiligen Umgebung umsehen, als stünde man mittendrin. Auch wenn es futuristisch anmutet – die Technik selbst ist schon recht alt: „Ich habe Fotos, auf denen ich schon vor 20 Jahren mit solchen Brillen rumgelaufen bin“, sagt Schreiber. Der Unterschied zu heute sei, dass die Brillen, die damals noch 100 000 bis mehrere Millionen Euro gekostet haben, nun erschwinglich sind: „Die VR-Brille wird in vermutlich einem Jahr für etwa 200 bis 300 Euro zu haben sein.“

Der 39-jährige Potsdamer entwickelt seit langem virtuelle 3D-Umgebungen und -Brillen: „Mit acht Jahren habe ich angefangen zu programmieren, mit zwölf habe ich mein erstes Geld mit 3D-Animation verdient“, erinnert sich Schreiber, dem die Begeisterung für das Thema virtuelle Welten deutlich anzumerken ist. „Ich glaube ja, dass wir irgendwann wirklich ein Holodeck wie bei Star Trek haben, in dem man komplett begehbare virtuelle Räume erschaffen kann.“

Bislang muss man sich mit Geräten wie der VR-Brille begnügen, deren Einsatzmöglichkeiten laut Schreiber mannigfaltig sind: „Natürlich sind Spiele ein ganz großes Thema, aber besonders im Bereich E-Learning und Medizin sehe ich viele Anwendungen. Zum Beispiel könnte man eine virtuelle Umgebung schaffen, in der man gefahrlos seine Höhenangst, Flugangst oder andere Phobien therapieren kann.“ Umstrittene Bauprojekte könnten virtuell errichtet und von den Bürgern begangen werden, sagt Schreiber: „2010 hatten wir intern sogar eine virtuelle Version des neuen Potsdamer Stadtschlosses erstellt, in dem man herumlaufen konnte.“

Auf der jetzigen IFA in Berlin präsentieren sich Schreiber & Friends noch nicht mit der VR-Brille, sondern mit einer Video-Installation, durch die bekannte Tatort-Fernsehschauspieler scheinbar neben dem Messe-Besucher im Raum stehen. Das ist nicht mehr virtuelle, sondern erweiterte Realität (augmented reality), bei der man seine normale Umgebung sieht, die aber durch animierte Elemente ergänzt wird. Auch dazu eignet sich die VR-Brille natürlich, sagt Schreiber: „Die Brille könnte zum Beispiel anzeigen, welche Teile in einem kaputten Auto-Motor man reparieren muss.“

Es sei auch denkbar, sogar Masttiere, die ihr ganzes Leben nie die Außenwelt sehen, per VR-Brille in eine schönere, virtuelle Umgebung zu versetzen, sagt Schreiber augenzwinkernd, sieht das aber durchaus kritisch. „Ich glaube, es ist nicht gut, wenn sich die Menschen nur noch wegbeamen.“ Mit neuen Technolgien müsse bewusst umgegangen werden. In den kommenden Jahren werden auch VR-Brillen von anderen Herstellern auf den Markt kommen, prophezeit Schreiber. Neben vielen nützlichen Anwendungen könnten die Brillen auch ungeahnte Probleme mit sich bringen: „Wir werden wahrscheinlich noch von Herzinfarkten hören, weil jemand damit ein Horror-Spiel gespielt hat.“

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