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Landeshauptstadt: Residenzpflicht und Zeltstadt

10 Jahre Flüchtlingberatungsstelle: Eine „Zeit-Seeing“-Tour durch Potsdams Flüchtlingsgeschichte

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Das gibt es nur in Deutschland: Vor der Glienicker Brücke ist Schluss für Flüchtlinge. Ohne „Urlaubsschein“ dürfen sie die „Grenze“ nach Berlin nicht überschreiten. Als Polizist verkleidet informierte Lutz Boede von der Fraktion „Die Andere“ dort gestern einen Bus mit „Zeit-Seeing“-Touristen über die „Residenzpflicht“. Diese Regelung, die Flüchtlinge bei Nichtbeachtung zu Straftätern macht, sei europaweit einmalig, so Boede. Die Glienicker Brücke war eine Station auf der Stadtrundfahrt zu wichtigen Orten der Flüchtlingspolitik, zu der die Flüchtlingsberatungsstelle des Diakonischen Werkes eingeladen hatte. Die Beratungsstelle mit Sitz in der Schlossstraße 1 feierte damit gestern ihren zehnten Geburtstag.

3000 bis 5000 Beratungsgespräche führen sie und ihre Mitarbeiter pro Jahr, schätzte Leiterin Katrin Böhme. Wie viele Menschen sie damit bisher erreicht hat, sei nicht zu sagen. Ihr Büro ist Anlaufstelle für Flüchtlinge aus den Kreisen Potsdam, Potsdam-Mittelmark, Teltow-Fläming und Brandenburg/Havel.

Aus insgesamt 40 Ländern seien Flüchtlinge seit 1991 nach Potsdam gekommen. Die Bus-Tour führte auch zum Ort des ersten Asylbewerberheims: In einer ehemaligen Kita in der Leiterstraße, eingerichtet mit NVA-Mobiliar, kamen im Juli 1991 die ersten 40 Flüchtlinge unter, erinnerte sich die Ausländerbeauftragte Magdolna Grasnick. Sogar eine Zeltstadt für Flüchtlinge sei zwischenzeitlich im Horstweg aufgebaut worden.

Die Zahl der Flüchtlinge hat in den letzten Jahren allerdings drastisch abgenommen: Waren es 1992 laut Grasnick noch 1200, wurden nach Angaben der Stadt 2006 nur 24 Flüchtlinge aufgenommen. Dieser Rückgang komme durch die Änderungen des deutschen Asylrechts 1993 im Rahmen des EU-Asylabkommens zustande, erklärt Grasnick.

340 Flüchtlinge leben momentan in Potsdam mit finanzieller Unterstützung durch die Stadt, so Grasnick. 90 befänden sich im Asylverfahren. Zum Vergleich: 6774 Bürger ohne deutschen Pass zählte die Stadtverwaltung 2006 in Potsdam insgesamt. Von den 340 Flüchtlingen leben 180 im von der AWO betriebenen Asylbewerberheim am Lerchensteig, die übrigen in Wohnungen, so Grasnick.

Die Verweildauer im Heim sei immer noch sehr lang, sagt Böhme: Zehn Jahre und mehr wohnten die Flüchtlinge dort, am Rand der Stadt. Auf der gestrigen Bus-Tour erinnerte Olaf Löhmer von der Initiative für Begegnung auch an die Zeit, als ihnen die finanzielle Unterstützung zum Großteil in so genannten „Sachmittelgutscheinen“ ausgezahlt wurde, mit denen sie nur in bestimmten Läden „einkaufen“ konnten. Seit 2003 umgeht die Stadt Potsdam diese Regelung des Bundes und zahlt den Flüchtlingen das Geld – das bei 65 Prozent des Hartz-VI-Satzes liegt – unter Berufung auf „Einzelfallentscheidungen“ bar aus.

„Das Klima in Potsdam ist viel besser geworden“, sagt Hala Kindelberger, die Vorsitzende des Ausländerbeirates, die gestern Abend zum Geburtstagsfest der Beratungsstelle kam. Sie sieht aber auch noch Defizite: So wünsche sie sich mehr Fördergelder für Integrationsarbeit. Zwar gebe es viele Initiativen, auch von den Migranten selbst gegründete. Integrationsarbeit könne aber nicht nur ehrenamtlich geleistet werden. Die kontinuierliche Arbeit müsse durch eine entsprechende finanzielle Unterstützung gewährleistet werden. Auch müssten die Integrationsarbeiter in der Stadtverwaltung, den Vereinen und Migrantenorganisationen besser vernetzt werden: So könne das Potential, das in Potsdam vorhanden sei, besser ausgeschöpft werden.

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