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Seltene Bestände. Der Kustos des Botanischen Gartens, Michael Burkart, vor einem Feld mit Sibirischen Schwertlilien, von denen es in Brandenburg nur noch wenige Populationen gibt. Das letzte lebende Exemplar einer Population von Wiesenküchenschellen (l.u.) fand Burkart auf einem westhavelländischen Moränenhügel. Von der Sand-Pfingstnelke (l.o.) gibt es weltweit nur noch vier wildlebende Populationen, zwei davon in Brandenburg und zwei in Polen.

© Andreas Klaer, Michael Burkart

Von Heike Kampe: Rettungsinseln für Wildpflanzen

Der Botanische Garten Potsdam engagiert sich für den Schutz gefährdeter einheimischer Pflanzenarten

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Die niedrige grüne Blattrosette sieht recht unscheinbar aus, die Blütezeit ist vorbei. Doch diese unauffällige Pflanze mit den haarigen Blättern hat im Botanischen Garten der Universität Potsdam einen ganz besonderen Status: Der Pyramidengünsel, der seine zarten lilafarbenen Blüten im Frühsommer öffnet, ist eine von etwa 50 Arten, die in ihrem natürlichen Bestand in Brandenburg stark gefährdet oder vom Aussterben bedroht sind. In den Beeten des Gartens haben sie nun einen Platz zum Überleben gefunden. Erhaltungskulturen – so nennt der Fachmann die Pflanzenbestände dieser Raritäten, die größtenteils abseits des öffentlichen Schaugartens wachsen.

Seit zehn Jahren engagiert sich der Botanische Garten Potsdam bereits in der Erhaltung gefährdeter Wildpflanzen und arbeitet dabei eng mit dem Landesumweltamt und dem Botanischen Verein Berlin-Brandenburg zusammen. Die Liste der Wildpflanzen Brandenburgs, die dringend ein Refugium in menschlicher Obhut brauchen, da ihre natürlichen Lebensräume knapp werden, umfasst etwa 100 Arten, erklärt der Kustos des Botanischen Gartens, Michael Burkart. Er selbst ist aktiv an der Ausweitung der Erhaltungskulturen beteiligt und konnte in diesem Jahr bereits drei weitere Pflanzenarten in die lebendige Sammlung einfügen. „Auf dem Weg in unseren Kleingarten in Mecklenburg halten wir immer mal wieder an, weil meiner Tochter schlecht wird“, so Burkart. Bei diesen Gelegenheiten fände er oft die tollsten Pflanzen.

Der Gute Heinrich ist so ein Zufallsfund, den Burkart auf diese Art und Weise entdeckt hat. Früher fand diese großblättrige, kräftige Pflanze, die auch unter dem Namen Wilder Spinat bekannt ist, in der bäuerlichen Küche häufige Verwendung. Heute pflegt sie eher ein unbeachtetes Schattendasein an Wegrändern. Die Samen, die Burkart geerntet hat, sollen im nächsten Jahr keimen und im Garten zu neuen Pflänzchen heranwachsen.

Die Erhaltung wilder Pflanzen in gärtnerischer Pflege ist nicht ganz unproblematisch. „Wir jäten, düngen und gießen unsere Pflanzen, das kann man mit den natürlichen Bedingungen nicht vergleichen“, betont Michael Burkart. Im Garten hätten die Pflanzen keine Konkurrenz und viel weniger Stress als in freier Wildbahn. Das bleibt nicht ohne Folgen. In einer wissenschaftlichen Studie wurde kürzlich nachgewiesen, dass sich bestimmte Eigenschaften der Pflanzen unter Kulturbedingungen schnell verändern können. So keimen etwa die Samen wild wachsender Arten nicht alle im nächsten Frühjahr. Ein Teil der Samen geht erst nach einigen Jahren Ruhezeit auf. Kultivierte Arten verlieren die Fähigkeit zur Bildung dieser „dormanten“ Samen nach kurzer Zeit. „Dormante Samen sind für das Überleben in schlechten Jahren wichtig“, erklärt der Botaniker. Würden alle Samen zur selben Zeit keimen, könne unter ungünstigen Bedingungen eine ganze Pflanzengeneration aussterben. Weil die Gärtner in der Regel nur die schnell gekeimten Exemplare kultivieren, also eine – unbewusste – Auslese betreiben, fällt dieser Sicherheitsmechanismus innerhalb weniger Jahre weg. Ob und in welchem Maße sich die Wildpflanzen unter Gartenbedingungen genetisch verändern, soll Gegenstand zukünftiger Untersuchungen sein.

Nicht nur die gute Versorgung im Garten, sondern auch die Vermehrung der seltenen Pflanzen kann bei einigen Arten für unliebsame Überraschungen sorgen. So kreuzt sich die Wiesenküchenschelle gern mit anderen Küchenschellenarten. Die Hybriden, die dabei entstehen, sind mit der wilden Wiesenküchenschelle nicht identisch. Deshalb darf in der Nähe der Erhaltungskultur keine andere Küchenschelle wachsen. Von den wilden Küchenschellen gibt es in Brandenburg nur noch zwei von ursprünglich vier Arten. Die wenigen Pflanzen, die sich auf Trockenrasenbiotopen noch gehalten haben seien unter anderem durch „Gartenfreunde“ gefährdet, die die zarten Pflanzen ausgraben und in ihre Blumenrabatten pflanzen würden, erzählt Michael Burkart. „Das überleben die nicht“, fügt er hinzu. Denn die wilden Arten seien nicht mit den Pflanzen zu vergleichen, die man in den Garten-Centern zu kaufen bekomme.

Doch wie sinnvoll ist es, gefährdete Wildpflanzen unter gärtnerische Obhut zu stellen? Die Erhaltungskulturen in den Botanischen Gärten dürfe man lediglich als „Trittsteine“ verstehen, erklärt Michael Burkart. Das übergeordnete Ziel sei stets die Erhaltung wildlebender Populationen. Wie das mit Hilfe der Erhaltungskulturen geschehen kann, zeigt die Geschichte des Pyramidengünsels. Aus dem ihr zugedachten Beet im Areal der Erhaltungskulturen hat sich die Pflanze schnell in benachbarte Bereiche ausgebreitet. Die neuen Jungpflanzen tauchten plötzlich zwischen den fleischigen Rosetten der Hauswurz auf. Doch in der Natur muss der Vermehrung des Pyramidengünsels nachgeholfen werden, die wenigen existierenden Bestände seien „kurz vor dem Verschwinden“, berichtet Burkart. Im letzten Jahr wurden daher 30 Pflanzen aus der Potsdamer Erhaltungskultur in einen geeigneten Lebensraum in der Gortzer Heide im Westhavelland gepflanzt. Im Frühling schaute ein Fachmann nach den Schützlingen und stellte fest: Es geht ihnen gut.

Um auch zukünftig Pflanzen der gefährdeten Arten in die Natur umzusiedeln und so wieder alte und neue Lebensräume erschließen zu können, ist eine ausreichende Menge an Jungpflanzen notwendig. Hier möchte der Leiter des Botanischen Gartens auf die Hilfe privater Gärtner zurückgreifen, die ein Fleckchen in ihrem Garten für eine Wildpflanze in Not zur Verfügung stellen, dort ein Auge auf Wachstum und Vermehrung haben und die Jungpflanzen anschließend abgeben. „Derzeit sind wir auf der Suche nach Geldgebern für dieses Projekt“, so Burkart.

Weitere Infos im Internet:

www.ex-situ-erhaltung.de

Heike Kampe

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