INKLUSION Probleme in den Schulen, Projekttag im Gymnasium: Risiken und Nebenwirkungen
Inklusion in Brandenburg bleibt eine Baustelle: Zwar steigt der Anteil der Förderschüler in den Regelschulen, doch die wenigsten schaffen den Abschluss
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Die Inklusion ist in Brandenburg in vollem Gange. Das ist die gute Nachricht. Laut dem aktuellen Datenreport Inklusion der Bertelsmann-Stiftung, besuchen zwei von fünf Schülern mit Förderbedarf eine sogenannte Regelschule, also keine Sonderschule mehr. Damit macht das Land weitere Fortschritte beim gemeinsamen Unterrichten von Schülern mit und ohne Handicap, urteilt die Stiftung. Denn waren es 2009 nur 36,4 Prozent, sind es inzwischen bereits 42 Prozent der Förderschüler, die auf eine Grund- oder eine weiterführende Schule gehen.
Allerdings – und das ist die schlechte Nachricht – hat im vergangenen Schuljahr 2012/13 nicht einmal jeder fünfte einen Hauptschulabschluss geschafft. Bundesweit ist es immerhin jeder vierte. „Die Sonderschule bleibt für viele Jugendliche eine Sackgasse. Ein Schulabschluss ist für die gesellschaftliche Teilhabe aber sehr wichtig“, sagt Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung.
„Inklusion funktioniert nicht so, wie sie jetzt gerade in Deutschland passiert“, sagt auch Bildungsexperte Stephan Ellinger von der Universität Würzburg. Diese These vertrat er jetzt bei einer Veranstaltung zum Thema an der Universität Potsdam. Man benötige eine hohe pädagogische Spezialkompetenz, und der Lehrkörper müsse eine Familienergänzung für den Schüler darstellen, sagt Ellinger. Die Verschmelzung von der Lern- mit der Lebenswelt und sichere, stressfreie Strukturen seien im Unterricht notwendig.
Inklusion ist nach Ansicht des Würzburger Professors und Lehrstuhlinhabers für Sonderpädagogik nicht nur teuer, sondern auch risikoreich. „Wenn man es falsch angeht, dann führt inklusiver Unterricht nicht zu einem weltoffenen Miteinander, sondern zu Aggression, einem Hang zum Suizid und Alkoholismus“, zählt Ellinger auf. Davon seien nicht nur Förderschüler betroffen, sondern auch der Rest des Klassengefüges. Studien bewiesen, so Ellinger, dass die gegenseitige Ausgrenzung umso stärker sei, je heterogener die Klasse ist. Man müsse mit Bedacht vorgehen, aber auch nicht zu lange warten, sonst werde sich die Entwicklung in deutschen Klassenzimmern immer mehr verselbstständigen.
Vor vorschneller Eile warnt auch Brandenburgs Bildungsministerin Martina Münch (SPD). Denn die Politik ist angesichts mancher Herausforderung ratlos. „Wir wissen nicht, wie es gelingen kann, Behinderte und Hochbegabte im Unterricht zu vereinen“, so Münch.
Die UN-Konventionen, die seit 2009 in Deutschland gelten, wonach Behinderte das gleiche Recht auf Bildung haben, seien „ein neues Lebenskonzept“, so die Ministerin. Man müsse aufhören, zu vergleichen. Stark und schwach, gut und schlecht – diese Grenzen müsse man überwinden. Unterschiede seien normal.
Doch das neue Lebenskonzept ist nicht nur schwer pädagogisch umzusetzen, es greift auch das gesamtgesellschaftliche Leistungsprinzip an: Einerseits sollen aus Schulen künftige Leistungsträger hervorgehen, andererseits steigt die Zahl von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf, wie Arbeits- und Sozialminister Günter Baaske (SPD) als Antwort auf eine parlamentarische Anfrage mitteilte. Auch bundesweit stieg laut Bertelsmann-Stiftung in den vergangenen fünf Jahren der Anteil der Förderschüler um rund zehn Prozent. Dafür würden jetzt zusätzliche personelle und finanzielle Ressourcen benötigt, so Bertelsmann-Vorstand Dräger.
Mit Reformen in der Lehrerbildung, einem völlig neuen Studiengang für die Grundschule und einem neuen Forschungsschwerpunkt will sich die Universität Potsdam auf die Herausforderungen einer inklusiven Schullandschaft einstellen. Diese Woche wurden fünf Professuren in der Inklusionspädagogik vorgestellt. Mit der Inklusionspädagogik setzt die Universität Potsdam einen neuen Forschungsschwerpunkt. Schwerpunkte werden auf das inklusive Lernen, die Spracherziehung und die soziale und emotionale Entwicklung gelegt. Für den gemeinsamen Unterricht in Klasse 1 bis 10 soll es in Berlin und Brandenburg außerdem 2015 neue Lehrpläne geben, bei denen die Anforderungen für Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf erstmals integriert werden. (mit giw)
Elisabeth Kropp
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