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Landeshauptstadt: Rossis Pfeiler, Muster, Zäune und Verzierungen

Der aktuelle Forschungsstand zur Herkunft der Kolonie Alexandrowka in Potsdam/Erste Beweise in Russland gefunden

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Der aktuelle Forschungsstand zur Herkunft der Kolonie Alexandrowka in Potsdam/Erste Beweise in Russland gefunden Das Jahrhundert-Geheimnis um die russische Kolonie Alexandrowka in Potsdam ist gelöst. So schrieben die PNN am 14. Oktober 2003 und ernteten prompt Nachfragen, wenn nicht sogar Protest. Als ob die Herkunft der Siedlung im Norden der brandenburgischen Landeshauptstadt nicht längst bekannt sei. Seit Jahren geht man in Potsdam davon aus, den Ursprung der Holzhäuser zu kennen. Nun erhielt die Potsdamer Landschaftsplanerin Anja Hecker für diese Erkenntnis den Förderpreis 2003 der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft 1822 e.V. – ein Verein, der einst von Gartendirektor Peter Joseph Lenné initiiert wurde, und sie erntet neben Zustimmung nun auch Widerstand. Was ist ihr Verdienst? Anja Hecker hatte in Russland zweimonatige aufwändige Recherchen betrieben und dort die gezeichneten Originalvorlagen des italienischen Architekten Carlo Rossi gefunden. Für das Dorf Glasowo, das bisher als Muster für Alexandrowka nur angenommen werden konnte. Zugute kam ihr bei den Untersuchungen der Umstand, dass sie als zweite Muttersprache Russisch spricht. Und so lieferte sie vor zwei Jahren überzeugende Beweise, fotografierte dazu in den zur Sowjetzeit für Ausländer schwer zugänglichen Archiven in St. Petersburg, Moskau und Pawlowsk, fuhr hinaus nach Glasowo, sprach mit den Leuten. Gefangene geschenkt Die Geschichte der Kolonie Alexandrowka in Potsdam begann im Frühjahr 1826, am 11. September war Grundsteinlegung für die Alexander-Newski-Kapelle auf dem Alexanderberg – später Minenberg, heute Kapellenberg. Die Entwürfe lieferte der russische Architekt Stassow, und Karl Friedrich Schinkel nahm Modifizierungen vor. Im selben Jahr wurden die insgesamt zwölf Häuser, dazu ein Aufseherhaus sowie neben der Kapelle auf dem Berg das königliche Landhaus, errichtet. Bauherr des „kleinen Russland“ in Potsdam war König Friedrich Wilhelm III., der sich mit dem russischen Zaren Alexander I. gegen Napoleon verbündet hatte und außerdem dessen Verwandter war: Des Zarens Neffe Nikolai hatte die deutsche Königstochter Charlotte geheiratet. Als Alexander I. am 1. Dezember 1825 starb, ehrte ihn Friedrich Wilhelm III. mit dem Bau der Kolonie in Potsdam. Die Annahme, er hätte das Dörfchen eigens für die seit 1812 unter seiner Flagge stehenden russischen Sänger erbaut, gilt damit inzwischen als widerlegt. Nur die letzten zwölf eines Chores innerhalb des 1. Garde-Regiments, der aus 62 russischen gefangen genommenen Soldaten gebildet worden war, zogen schließlich nach Alexandrowka. Die Allianz zwischen dem deutschen König und dem russischen Zaren führte schließlich dazu, dass die ehemaligen Sänger quasi als „Geschenk“ in Potsdam blieben. Gartendirektor Peter Joseph Lenné sorgte dafür, dass die Kolonie den heutigen Standort erhielt, aber nicht ohne Friedrich Wilhelms III. Intervention: Er wollte nach dem Sieg über Napoleon die Hippodromform mit dem innenliegenden Andreaskreuz – und er bekam sie. Glasowo fürs Auge Das Dorf Glasowo, dass schon geraume Zeit als Ursprung von Alexandrowka und auch von Nikolskoe, schon 1819 erbaut im Berliner Forst – vis á vis der Pfaueninsel – angenommen wurde, gibt es heute nicht mehr. Doch die Spuren sind, zumindest für Historiker, nur leicht verwischt. Der kleine Ort im Park von Pawlowsk, eine der Zarenresidenzen, verrät sich noch durch seine Umrisse. Kreisrund war die Siedlung, daher rührt auch der Name: Glas – das Auge. Doch dort war früher nur wildes dünn besiedeltes Land inmitten von Wald und Sumpf, dass Katharina II. (die Große) im Jahr 1777 ihrem Sohn Pawel und seiner Frau Maria Fedorowna zur Geburt ihres Sohnes Alexander – dem späteren Zaren Alexander I. – schenkte. Großmutter Katharina die Große, einst Prinzessin Sophie Friedericke Auguste von Anhalt-Zerbst, machte damals Russland zum kulturellen Mittelpunkt Europas. Und die deutschen Einflüsse setzten sich fort, denn auch ihre Schwiegertochter Maria Fedorowna war eigentlich eine deutsche Prinzessin – Sophie Dorothee Auguste v. Württemberg-Montebiliard. Und, wie eingangs erwähnt: Die Tochter von Friedrich Wilhelm III. heiratete den Bruder von Alexander I. – Nikolai. So gab es immer Beziehungen auch nach Preußen, und so war es kein Wunder, dass Friedrich Wilhelm III. mit Alexander I. gegen Napoleon ritt, dass Alexander mit den Deutschen im Jahr 1815 die „Heilige Allianz“ gegen Bonaparte schloss. Zehn Jahre später starb Alexander I. – vorher hatte Friedrich Wilhelm III. im Jahr 1818 die Entwürfe aus der Feder Carlo Rossis für den Ort in Russland gesehen, um den es heute geht: Glasowo. Doch die Zeichnungen und Skizzen des Hauptbaumeisters der Stadt Pawlowsk, der in Russland Karl Iwanowitsch Rossi genannt wurde, waren lange Zeit nicht zugänglich. Es waren Zeugnisse der Zarenherrschaft, die nach der kommunistischen Machtübernahme 1917 in unzugänglichen Archiven verschwanden. Erst im Zuge von Perestroika und Glasnost (Umgestaltung und Transparenz) – Ende der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts – lockerten sich die Bestimmungen. Nach der großen politischen Wende 1990 und dem Niedergang des Kommunismus auch auf russischem Boden stiegen die Chancen für derartige Recherchen. „Wir hatten einst die Archive angeschrieben – bis heute warten wir auf die Antworten“, erinnert sich Potsdams Stadtkonservator Andreas Kalesse. Verblüffende Übereinstimmungen Genutzt hat sie nun Anja Hecker und das zu Tage gefördert, was bisher vermutet wurde: Anhand von Rossis Zeichnungen lassen sich eins zu eins die Muster, Verblendungen, Pfosten, Gedrechseltes und Gefügtes nachweisen. Geländer- und Brüstungs-Traljen gleichen sich aufs Haar. Die Höfe mit Haupthaus, überdachtem Torweg mit drei großen Pfeilern und meist daran angeschlossenen Nebengebäude sind genau so in Potsdam zu finden. Selbst Abbildungen der zur Bundesgartenschau 2001 wieder hergestellten Holzzäune zwischen den Grundstücken fanden sich in den russischen Akten. „Diese Ähnlichkeiten und zum Teil deckungsgleichen Muster sowie Gestaltungselemente können auf keinen Fall zufällig entstanden sein“, so die Landschaftsplanerin. Sie schlussfolgerte: „Nach der vergleichenden Betrachtung der Abbildungen lässt sich sagen, dass Nikolskoe, Alexandrowka und Rossies Entwürfe für Glasowo untereinander viele Übereinstimmungen und Analogien aufweisen. Die These, dass Glasowo Vorbild für die Alexandrowka war, lässt sich zwar nicht vollständig belegen, da schriftliche Hinweise in Archiven, welche die Übersendung von Plänen belegen würden, bisher nicht gefunden werden konnten, doch sind die Übereinstimmungen zwischen den Abbildungen Glasowos und Alexandrowkas so deutlich, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass Rossis Entwürfe bzw. Varianten der Entwürfe nach Potsdam gelangten.“ Hingegen seien andere potenzielle Vorbilder weder in der deutschen noch in der russischen Forschung bekannt, so Anja Hecker. Sie geht indes davon aus, dass Friedrich Wilhelm III. die Entwürfe schon 1818 im Heimreise-Gepäck hatte. Dies hat sich offenbar bestätigt: In der Zwischenzeit ist im Berliner Kupferstichkabinett eine Zeichnung von Carlo Rossi aufgetaucht, die die Vermutung aus dem Jahr 2002 bestätigt, dass solche Zeichnungen nach Deutschland gelangt sind. Wertvoll für Russland Andreas Kalesse ist davon überzeugt, dass die Untersuchungsergebnisse stimmig sind: „Seit dreizehn Jahren suchen wir nach dem Ursprung der Kolonie in Potsdam und haben 1996 ein von uns beauftragtes Gutachten von Prof. Marcus Köhler auf den Tisch bekommen, in dem der Direktbezug zu Glasowo hergestellt wurde. Nur ohne sichtbare Beweise.“ Köhler war nicht in Glasowo. Beweise zum Anfassen habe nun Anja Hecker gefunden und damit die Beweiskette geschlossen. „Das ist ihr Verdienst, dafür wurde sie prämiiert", so Kalesse. Somit soll Alexandrowka nunmehr als letztes Zeugnis auch der damals höfisch interpretierten russischen Siedlung Glasowo – einst Glasowa – gelten, die im Jahr 1944 den Kriegsgeschehnissen zum Opfer fiel. „Die Frontlinie ging direkt durch den Ort, von dem heute nur noch der Rundweg und der Teich in der Mitte übrig sind“, so Anja Hecker. Wie das Dorf wirklich gebaut worden war, habe noch niemand nachweisen können. Deshalb seien ihre Forschungen für die russische Seite fast von größerer Bedeutung als für Potsdam. „Das Ensemble der Alexandrowka stellt symbolisch die engen verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Beziehungen zwischen Preußen und Russland dar“, so Hecker. Ein Abriss der gesamten Untersuchungen, so kündigte Stadtkonservator Andreas Kalesse gegenüber den PNN an, werde in Kürze veröffentlicht. „Für uns als Untere Denkmalbehörde ist es ein Glücksfall, mit Frau Hecker zusammen zu arbeiten.“ Man betreue immer wieder Diplomanden und Praktikanten – insofern sei die Arbeit mit jungen Leuten nichts Neues. Einen Preis indes habe es dafür noch nie gegeben. „Der gebührt ja auch Anja Hecker, sie hatte die Arbeit und letztendlich in Russland dann auch das richtige Gespür“, so Kalesse. Doch es sei nun auch schön, den Deckel nach solch langwierigen Untersuchungen einmal zuklappen und neue Projekte in Angriff nehmen zu können Quelle: Glasowo bei Pawlowsk, Carlo Rossis Projekt eines russischen Parkdorfes – Vorbild für die Alexandrowka in Potsdam? Diplomarbeit Anja Hecker, Fakultät VII Architektur Umwelt und Gesellschaft im Studiengang Landschaftsplanung der Technischen Universität Berlin, 16. August 2002

Detlef Gottschling

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