Landeshauptstadt: Rübenzucker contra Sklaverei
Der Zuckersieder Ludwig Jacobs (1794 - 1879) war weit mehr als ein erfolgreicher Unternehmer
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Nauener Vorstadt - Die Wiedererrichtung der 1981 abgerissenen Villa Jacobs an der Bertinistraße hat die Aufmerksamkeit auch auf ihren Erbauer, den Potsdamer Zuckerfabrikanten Ludwig (von) Jacobs (1794 - 1879) gelenkt. In der ersten der diesjährigen „Linderstedter Begegnungen“ der Urania zeigte Jürgen Wilke in Anwesenheit des neuen Bauherren, des Berliner Architekten Stefan Ludes, Fotos des fast fertiggestellten, 1842 von Ludwig Persius als Turmvilla entworfenen Neubaus.
Potsdam sei als Stadt der Könige, herausragender Künstler und Wissenschaftler bekannt, besaß in Ludwig Jacobs aber auch eine jener Unternehmerpersönlichkeiten, die im 19. Jahrhundert den industriellen und wirtschaftlichen Aufstieg Preußens auslösten und mitbestimmten, erklärte der Berliner Wirtschaftshistoriker. Er ließ vor dem fachkundigem Publikum im Schloss Lindstedt bekannte Fakten über den 1794 in Roddahn bei Neustadt (Dosse) geborenen Mann, der 1826 an der Alten Fahrt seine Zuckersiederei begründete, keineswegs aus, stellte aber dessen vielseitiges Wirken in neue, teils überraschende Zusammenhänge. Holte Jacobs anfangs sogar mit eigenen Schiffen Rohrzucker von den westindischen Inseln, stellte er seine Fabrik später auf Rübenzucker um. Dies begründete er in einer Denkschrift nicht vordergründig mit wirtschaftlichen Interessen, sondern sah darin ein Instrument, die Sklavenarbeit in den Rohrzuckerplantagen der Karibik zurückzudrängen. Darin erkennt Wilke den Einfluss des mit Jacobs befreundeten berühmten Gelehrten Alexander von Humboldt. Soziales Gewissen dokumentierte Jacobs auch, als er 1856 lange vor den Bismarckschen Reformen freiwillig eine Betriebs- und Unterstützungskasse zu Absicherung für seine bis zu 225 Arbeiter bei Krankheit und im Alter einrichtete. Für die in zwei Schichten je zwölf Stunden arbeitende Belegschaft zahlte er relativ hohe Löhne und stellte für die körperlich schwere Arbeit kaum Jugendliche und Frauen ein.
Wilke würdigte die Innovationskraft des Unternehmers. Sie lässt sich nicht allein daran festmachen, dass er 1833 als erster Potsdamer Industrieller in seiner Fabrik eine Dampfmaschine installierte. Um die neuesten Technologien auszuforschen, reiste er mit einem Freund durch England und Frankreich und arbeitete sogar selbst in einer Pariser Zuckerraffinerie. Am Brauhausberg ließ er, allerdings vergeblich, nach Braunkohle graben. Er unterhielt weitreichende Geschäftverbindungen, unter anderem durch eine Werksgründung in Österreich, wozu Jürgen Wilke einen an Jacobs gerichteten Brief von Staatskanzler Fürst Metternich aufgefunden hat. Als Mitglied des Clubs der 300 führenden deutschen Industriellen half der Potsdamer ein modern anmutendes Netzwerk aufzubauen. Früh erkannte Ludwig Jacobs die Bedeutung der Eisenbahn und trug wesentlich zum Bau der Strecke nach Magdeburg bei, woran an der Kiewitt-Brücke seit 1996 eine Gedenktafel erinnert.
Auf Drängen des langjähriger Stadtverordneten, dann Stadtrats, beteiligte sich die Stadt Potsdam an dem Bahnbau mit 300 000 Talern, wovon Jacobs 200 000 Taler als Aktien übernahm. Auch an der durch König Friedrich Wilhelm IV. veranlassten Aufwertung der Uferzone der Alten Fahrt hatte der Unternehmer durch erhebliche eigene Mittel Anteil. Damals (1843) erhielt seine Fabrik auch den durch Persius entworfenen charakteristischen 37,70 Meter hohen florentinischen Turm.
Das soziale Verantwortungsbewusstsein des „Zuckerbarons“, wie er nach der Erhebung durch Wilhelm I. in den Adelsstand genannt wurde, spiegelt sich in zahlreichen Spenden, unter anderem 5000 Taler für die Potsdamer Armenschule, und in seiner Mitwirkung in der Sanitätskommission während der Cholera-Epidemie 1833. Als es nach einer Missernte 1847 keine Kartoffeln gab, stellte er 100 Zentner Mehl für die Armen in Potsdam und Nowawes zur Verfügung. Den Kunstverein unterstützte er durch Spenden und zeitgenössische Maler durch Ankäufe, so des am Kriegsende 1945 verschollenen berühmten „Flötenkonzerts“ von Adolph Menzel.
Einen Heiligenschein muss man Ludwig von Jacobs dennoch nicht aufsetzen. Als er 7000 Taler für das Berliner Bethanien-Krankenhaus spendete, reagierte er damit auf den Vorwurf unzulässig hoher Bereicherung beim Eisenbahnbau.
Jürgen Wilke räumte auch mit der Legende auf, Jacobs sei ein persönlicher Freund Friedrich Wilhelms IV. gewesen. Seine Gesuche und Denkschriften habe er dem König stets von Humboldt oder anderen Mittelsmännern übergeben lassen. Darunter befand sich ein Gnadengesuch für den zum Tode verurteilten 1848/49er Revolutionär Maximilian Dortu, der einen Sohn von Jacobs aus dem Jungfernsee vor dem Ertrinken gerettet hatte. Der König ließ das Gesuch ablehnen.
Das Jacobs“sche Imperium wurde schon wenige Jahrzehnte nach dem Tod seines Begründers aufgelöst. Auch von dem stattlichen, zwei Hektar großen baulichen Ensemble blieb nichts übrig: weder die Gebäude Blücherplatz 1 bis 5 und Brauerstraße 6 noch die Lagerhallen auf der Freundschaftsinsel. Das Grabmal Ludwigs von Jacobs“ befindet sich auf dem Alten Friedhof.
Erhart Hohenstein
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