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Landeshauptstadt: Rückkehr der Gedächtnisurne

Sie erinnert im Neuen Garten an den früh verstorbenen Lieblingssohn Friedrich Wilhelms II.

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Sie erinnert im Neuen Garten an den früh verstorbenen Lieblingssohn Friedrich Wilhelms II. Von Erhart Hohenstein Berliner Vorstadt - Seit gestern steht die Gedächtnisurne für den Grafen Alexander von der Mark wieder unweit des Marmorpalais am Uferweg des Neuen Gartens. Rudolf Böhm und seine Männer von der Skulpturenwerkstatt hoben sie mit Hilfe eines Flaschenzugs vorsichtig auf ihren Sockel. Der Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, Hartmut Dorgerloh, würdigte den Spürsinn von Chefrestaurator Hans- Christian Klenner, der die seit 1945 verschollene Urne im Heiligen See vermutete, und die beiden Hobbytaucher Jens Bartoll und Jürgen Becher, die sie bei einem Tauchgang im Herbst vorigen Jahres tatsächlich fünf Meter vor der Uferlinie im Schlick des Seebodens fanden. Siegestrunkene und wodkaselige Sowjetoffiziere hatten die Gedächtnisurne wohl vom Sockel gerissen und ins Wasser geworfen. Nach dem Fund der aus Carraramarmor geschaffenen Urne übernahm die Skulpturenwerkstatt der Stiftung deren Reinigung, neu angefertigt werden mussten Fuß und Knauf. Ein erhaben gestaltetes Feld (Bosse) trug früher eine Inschrift, deren Text aber nicht mehr zu erkennen und auch nicht bekannt ist. Es blieb deshalb unbeschriftet. Wahrscheinlich war darauf nur der Namenszug „Alexander“ zu sehen. Das erhaltene Podest wurde bereits zuvor restauriert. Alexander war der früh verstorbene Lieblingssohn König Friedrich Wilhelms II., eines der fünf Kinder aus der langjährigen Lebensgemeinschaft mit der schönen Trompeterstochter Wilhelmine Enke, der späteren Gräfin Lichtenau. Schon als Kind von Friedrich dem Großen zum Grafen von der Mark erhoben, besaß der 1778 geborene liebenswerte Junge „ungewöhnliche Tugenden“ und wurde „in edlen Künsten frühzeitig unterrichtet“, wie es in der Grabinschrift heißt. 1997 war zur Eröffnung des teilrestaurierten Marmorpalais ein Brief ausgestellt, den der mit achteinhalb Jahren aus unbekannter Ursache verstorbene Alexander an seinen königlichen Vater geschrieben hatte. Der König ließ seinem „Anderchen“ in der Dorotheenstädtischen Kirche in Berlin von Johann Gottfried Schadow 1790 ein Grabdenkmal setzen (heute in der Alten Nationalgalerie zu besichtigen). Etwa gleichzeitig wurde im Neuen Garten die Gedächtnisurne aufgestellt. Wenn der König dort verweilte, glaubte er immer wieder Alexanders Stimme zu hören. Mit der Urne ist mehr als eine bloße Gartenstaffage zurückgekehrt. Der Gang durch den Park folgt einem freimaurerischen Programm. An den Gedächtnisurnen für Graf Alexander und Gräfin Ingenheim, einer der beiden dem König morganatisch („zu linker Hand“) angetrauten Gattinnen, betritt der Wanderer die Unterwelt, deren Eingang durch die Pyramide symbolisiert wird. Am Gärtnerhaus kehrt er ins Diesseits zurück und erreicht als Ort der Ruhe und Geborgenheit die Muschelgrotte. Der Weg führte weiter über einen Aussichtshügel und einem Heiligtum der altägyptischen Göttin Isis zu der hinter Gehölzen versteckten Eremitage als nur Eingeweihten zugänglichem Ort höchster Erkenntnis. Nach der Wiederaufstellung der Gedächtnisurne werden durch die Restaurierung der Muschelgrotte und den Neuaufbau der Eremitage weitere Stationen dieses Weges neu erlebbar gemacht.

Erhart Hohenstein

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