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Landeshauptstadt: Rückkehr nach 69 Jahren

Am Donnerstag übergaben zwei Brüder aus Heidelberg eine historische Glocke der Garnisonkirche

Von Katharina Wiechers

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Berlin/Potsdam - Als am 1. April 1945 ein Bombenhagel über Potsdam niederging, war Rainer Sieber noch keine sieben Jahre alt. Doch an den Anblick der Funken, die vom Glockenturm der durch eine Bombe getroffenen Garnisonkirche durch die Nacht stoben, kann er sich noch heute lebhaft erinnern. Am nächsten Tag lief er wie viele Nachbarn zur Kirche. Nicht nur Steinbrocken lagen dort verteilt, auch Glocken aus dem Glockenspiel waren darunter und wurden von den Potsdamern eingesammelt. Auch Rainer Sieber erwischte eine der Glocken, eine kleinere mit der Nummer 26, und transportierte sie mit Hilfe seines vierjährigen Bruders auf dem Tretroller nach hause zur staunenden Mutter. Am gestrigen Donnerstag, mehr als 69 Jahre später, übergaben die beiden Brüder die Glocke an die Stiftung für den Wiederaufbau der Garnisonkirche.

„Schweren Herzens“, wie Sieber bei der Übergabe auf der Berliner Halbinsel Schwanenwerder gestand. Denn die Glocke erinnerte ihn und seinen Bruder über die Jahrzehnte an die Kindheit in Potsdam. An Weihnachten wurde sie geläutet, wenn es Bescherung gab, und als sie Rainer Sieber eines Tages in einem Jugendferienlager während der sowjetischen Besatzung an die Heimleitung abgeben musste, klaute er sich mithilfe der Mutter in der Nacht zurück.

1948 verließ die Familie Potsdam und ließ sich in Mannheim nieder, die Glocke im Gepäck. „Jahrelang war sie das einzige, was uns an unsere Heimat erinnerte“, sagte Sieber. Und schon vor Langem hätten er und sein Bruder sich gesagt: „Wenn einmal eines Tages das Wunder geschieht, dass die Mauer fällt und die Garnisonkirche wieder aufersteht, bringen wir die Glocke wieder an ihren Platz zurück.“

Die Mauer ist gefallen, doch der Wiederaufbau steht trotz der seit Jahren andauernden Bemühungen des Fördervereins und der Stiftung noch immer auf wackeligen Füßen. Erst gut sechs der 40 Millionen Euro, die allein für den Wiederaufbau des Turms nötig sind, wurden bisher an Spenden gesammelt. Zwar gibt es eine Zusage über zwölf Millionen Euro vom Bund, diese sollen aber erst fließen, wenn die Gesamtfinanzierung steht.

Zumindest moralisch haben die Förderer des Wiederaufbaus seit Donnerstagabend aber einen weiteren prominenten Unterstützer: Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) war zu der Übergabe der Glocke durch die Sieber-Brüder in die luxuriöse Niederlassung des baden-württembergischen Schraubenherstellers Würth nach Schwanenwerder gekommen und hielt ein geradezu flammendes Plädoyer für den Wiederaufbau. „Ich finde das Projekt ausdrücklich gut“, sagte er. Er sei fest davon überzeugt, dass die Kirche ein „lebendiger Ort des fruchtbaren Streits und kein toter Ort des Erinnerns“ werde. Die Stiftung werde den militärischen Bezug ausdrücklich nicht wiederherstellen, sondern einen Ort der Versöhnung schaffen. Gerade weil die Kirche ein „schlimmes Symbol“ der Vereinigung zwischen Konservativen und Nationalsozialisten sei, könne sie ein Anstoß für Frieden und Versöhnung werden.

Die Sprengung der Kirchenruine 1968 sei eine Demonstration der Macht der jungen kommunistischen Ordnung gewesen, so Gabriel weiter. „Walter Ulbricht wollte ein Zeichen der Macht setzen, ein Zeichen des Sieges der neuen Zeit über die alte.“ Nach der Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten sei die Kirche damit zum zweiten Mal von den Feinden der Demokratie missbraucht worden. „Die Wiederauferstehung wäre deshalb ein Symbol dafür, dass sich die Feinde der Freiheit nicht durchsetzen können“, sagte Gabriel und erntete dafür spontanen Applaus bei den rund 150 Gästen.

Anschließend sprach sein Parteifreund Manfred Stolpe. Der ehemalige Brandenburger Ministerpräsident hatte die Glocke als Mitglied des Stiftungskuratoriums entgegengenommen. „Das gibt uns einen großen Schub“, sagte er. Die Sprengung der Garnisonkirche sei eine Kulturschande und ein ideologisches Verbrechen gewesen.

Ganz anders sehen das die Gegner des Projekts. Sie sammeln seit März Unterschriften gegen den Wiederaufbau der Kirche, der ihrer Meinung nach den preußischen Militarismus symbolisiert und untrennbar mit dem Schulterschluss zwischen Nationalsozialismus und Konservativen verbunden ist. Einige von ihnen hatten sich auch mit Plakaten vor dem Würth-Sitz auf Schwanenwerder versammelt. Auf Schildern bezeichneten sie die Garnisonkirche unter anderen als „Nazi-Wallfahrtsort“ oder „Image-Schaden für Potsdam“.

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