Links und rechts der Langen Brücke: Ruhe und Geduld
Henri Kramer über die eskalierte Jugendkultur-Debatte
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Potsdams DVU-Abgeordneter Günther Schwemmer war sichtlich erfreut. „Herr Oberbürgermeister, die Geister, die Sie gegen die Nazis riefen, werden Sie nun nicht mehr los“, rief er Jann Jakobs am Mittwoch zu. Gerade war das Stadtparlament von linksalternativen Jugendlichen besetzt worden, die demonstrieren wollten, dass sie sich in Potsdam an den Rand gedrängt fühlen. Seitdem hat die seit Monaten währende Jugendkultur-Debatte eine bisher nicht gekannte Schärfe. Dazu hat auch Jakobs erheblich beigetragen – mit seinem unhistorischen Nazi-Vergleich und der plötzlichen Strafanzeige gegen die Party-Macher, die einmalig eine abrissreife Halle besetzten. Der harte Ton gegen Links verwundert, weil Jakobs noch kurz vor der Kommunalwahl selbst Geld für linke Jugendliche spendete, die der DVU bei einem Aufmarsch den Stromgenerator zerstört hatten. Doch ist das Stadtoberhaupt von der Alternativ-Szene offenbar wirklich enttäuscht, weil er ihnen aus seiner Sicht zuvor entgegenkam. Denn trotz geltender Beschlusslage ließ er die neu besetzte Villa Wildwuchs am Park Babelsberg nicht räumen. Und über seinen Büroleiter machte er das Thema Jugend zur Chefsache, seit das Archiv-Zentrum in der Leipziger Straße wegen Baumängeln akut bedroht ist. Einen Dank bekam Jakobs dafür nie. Vielmehr wurden seine Vorschläge für einen Spartacus-Ersatz – von der Schiffbauergasse über die Johannsenstraße bis hin zur einstigen Humboldt-Buchhandlung – mehr oder weniger brüsk abgelehnt. Dazu nun die sinnfreie Parlamentsbesetzung Nach ihr muss die Szene aufpassen, dass die Stimmung nicht kippt und die gewonnene Akzeptanz für den Gedanken verloren geht, dass junge Menschen Freiräume zur Entfaltung brauchen. So sind es der Scherben viele, die diese Woche hinterlässt. Ruhe ist nun gefragt, auch wenn es schwer scheint – und Geduld. Die Szene muss der Stadt die Chance geben, ohne überhöhten Druck nach Lösungen zu suchen, weil das Thema inzwischen erkennbar ernst genommen wird, wie die Suche nach Hilfe für das Archiv zeigte. Und am Wochenende kann man Jakobs und der Szene vor allem die Fähigkeit wünschen, sich selbst zu reflektieren und zu erkennen, dass sie derzeit über das Ziel hinausschießen. Geht das so weiter, hat DVU-Schwemmer noch lange Zeit gute Laune.
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