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Landeshauptstadt: Sag mal Scheveningen

Die van Beeks, ein Familie aus den Niederlanden. Und aus Deutschland. Seit 2005 aus Potsdam

Stand:

Die Holländer und die Deutschen, sie reiben sich gern aneinander, nicht nur beim Fußball. Das deutsch-holländische Spannungsfeld ist von Missverständnissen nur so vermint. Doch Undine und Rob van Beek gehen 1990 munter drauflos und mitten hinein. Sie, eine Ostdeutsche aus Weißwasser, er, ein Holländer aus ''s-Hertogenbosch (Herzogenbusch) in der niederländischen Region Brabant. Nun, 2007, sie sind immer noch ein Paar. In der Wendezeit traf sie ihn und er sie im Noch-Ost-Berlin. „Was soll ich mit einem Holländer?“, dachte sie erst. Doch nach der Fetennacht im Jugendtouristenhotel konnte Rob die schöne Undine nicht vergessen. Er suchte sie und fand sie wieder. Undine ging mit ihm nach ''s-Hertogenbosch.

Anfangs sollte es nur für ein Jahr sein. Doch sie heirateten und sie blieb bis 2005. Dann zogen die van Beeks mit Tochter Laura und Sohn Fabian nach Potsdam, in die Stadt, die in Deutschland vielleicht am holländischsten ist. Das Holländische Viertel aber, sagt der zwölfjährige Fabian, der es wissen muss, „ist zu rot“. Dort sehe es holländischer aus als in Amsterdam.

Rob van Beek war in ''s-Hertogenbosch Lehrer für Englisch und Deutsch und ist es heute in der Waldstadt. Nur, Deutsch lehrt er jetzt als Muttersprachler. Die Kollegen helfen ihm, aber seine Arbeit ist schwierig, sagt er, die Schüler in Deutschland dürfen sich mehr erlauben als die in Holland. Handys sind an holländischen Schulen streng verboten. Hier werde das laxer gehandhabt. Auch ist der Lehrerberuf in seinem Geburtsland geachteter als in Deutschland. Dort steht ein Koordinatoren-Team hinter den Lehrern, hier muss er alles selbst organisieren. Er will auf ein Gymnasium wechseln, liebäugelt mit dem Evangelischen auf Hermannswerder. Er hofft auf motiviertere Schüler.

Rob van Beek gibt sein Heimweh zu. Ein Lichtblick war die Fußballweltmeisterschaft im letzten Jahr in Deutschland – wenn sich die Oranjes auch nicht qualifizierten. Da war Deutschlands Fußball viel sympathischer als früher. Das letzte Duell der Nationalmannschaften lieferten sich Holland und Deutschland bei der Europameisterschaft 2004. Am Ende stand es eins zu eins. So scheint es, steht es auch für Rob van Beek, unentschieden. Aber er ist ja nicht am Ende, er fängt erst an. Rob macht jetzt Erfahrungen, über die Undine rückblickend schon wieder lachen kann.

Wenn Niederländer Deutsche ärgern wollen, sagen sie ständig „Jawohl!“. Der Deutsche als stereotypischer Befehlsempfänger. Oder sie fordern ihn auf, den Namen des Den Haager Stadtteils Scheveningen auszusprechen. Da kommt phonetisch ein kehligeres „Chrr“ drin vor, als es einem deutscher Schäferhund lieb ist. Als Undine in ''s-Hertogenbosch einmal jemanden sagte, sie komme aus Ostdeutschland, sagte der: „Ach, da musst Du dich nicht schämen.“

„Mach ich auch nicht“, konterte sie. Sie ist als gestandene Ostdeutsche nicht nach Holland gegangen, um sich unterkriegen zu lassen. „Ich sage, was ich denke.“ Ihre Kritik ist immer positive Kritik. Als sie eine Freundin mitfühlend „du dumme Kuh“ nennt, ist diese beleidigt. Zwar geben sich die Niederländer nicht die Hand, sondern verpassen sich provisorisch drei Küsschen. Doch Undines Form der Herzlichkeit wirkt dort herb. „Ich war fast erschrocken, wie meine Freundin reagierte.“

Sie passt sich nicht an. In der Kunst- und Kulturszene, in der die Grafikerin und PR-Fachfrau arbeitet, gefällt ihre Direktheit sogar. Was sie an den Holländern mag: Sie sind spontan. Problematisch bleibt die Sprache. „Man denkt, man versteht es, aber das ist nicht so.“ Tapijt könnte gut Tapete sein, bedeutet aber Teppich. Ein Behang steht sicher für Gardine – falsch: Das nun ist die Tapete. Aber sie findet Gelegenheit, ihrerseits über das Niederländische zu lachen. Doof heißt taub, demzufolge läuft im Fernsehen eine wissenschaftliche Sendung „über Blinde und Doofe“. Aber als ihre Tochter Laura, damals dreijährig, sie in einer Apotheke vor Publikum bei der Aussprache eines niederländischen Wortes verbessert, ist es ihr peinlich.

Holland ist „schön und fertig“, alles ist geregelt. Es ist das dichtbesiedeltste Land Europas, auf jeden Niederländer kommen vier Quadratmeter Natur. Auch auf Undine van Beek. 2005 reicht das nicht mehr aus. Sie bekommt „ernsthaftes Heimweh“, will zurück zu den „abgeschnittenen Wurzeln“; das „hört sich kitschig an, aber so war es“. Während eines dreiwöchigen Urlaubs in der Nähe von Potsdam, in einem Bungalowpark namens „Wo die Ruhe zu Hause ist“ geht sie auf Wohnungssuche. Am letzten Urlaubstag bekommt sie die Zusage für die Wohnung in Potsdam. Im September ist soweit, in Holland besteigt sie mit wenig Gepäck allein einen Interline-Bus, der sie nach Deutschland bringt. Sie bezieht die leere Wohnung in der Innenstadt. Da steht eine Freundin ihrer Mutter, die sie seit 20 Jahren nicht gesehen hat, mit dem Auto vor der Tür. Sie bringt einen Stuhl, ein Radio, ein Kopfkissen Woran sie selbst nicht dachte, daran hat jemand anderes gedacht. „Das für andere mitdenken, das findet man hier mehr“, sagt sie. Denke nicht, dass das noch so ist, wenn du in den Osten zurückkommst, hatten einige gewarnt. Undine van Beek, die Ostdeutsche, die keine Niederländerin wurde, fand aber in Potsdam sofort Freunde, die beim Zusammenbau der Möbel halfen.

Stolz ist sie auf Laura und Fabian. „Immerhin war es ihr erster Umzug. Und gleich in ein anderes Land.“ Ihrem Vater Rob, der erst ein halbes Jahr später aus ''s-Hertogenbosch nachkam, klopft Laura kennerhaft auf die Schulter: Das mit dem Heimweh, „das geht auf und ab“, und irgendwann ist es vorbei. Deutsch ist zwar ihre Muttersprache, aber sie hatte die Grammatik nicht gelernt, „und im Unterricht nehmen sie keine Rücksicht“. Dafür ist sie stark in Englisch. Früh übt sich – selbst die niederländischen Kinder sehen Trickfilme mit englischen Untertiteln.

Was die fast 16-jährige Laura an Deutschland fasziniert, sind die unterschiedlichen politischen Richtungen, die Ideologien. „Ich kannte keine Demos“, sagt sie und glaubt, in den Niederlanden „gibt es kein links und rechts“. Die Freunde, die sie in Potsdam gefunden hat, gehören eher zur linken Szene.

Die Gretchenfrage aber bleibt der Fußball. Wenn Deutschland spielt, ist Laura für Deutschland, wenn die Niederlande spielen, ist sie für die Oranjes. Und wenn sie gegeneinander spielen? Dann ist es mir egal, sagt Laura. „Na ja, oder ich bin doch noch ein bisschen mehr für Holland.“

Und Vater Rob lächelt.

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