
© Andreas Klaer
Von Hella Dittfeld: Sämereigeschäft gibt auf
102 Jahre lang boten die Liebenows Gartenbedarf am Bassinplatz an. Damit ist bald für immer Schluss
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Besonders traurig wirkt Wolfgang Liebenow nicht. Eher wie jemand, der sich ins Unvermeidliche schickt. „Das ist doch alles nur noch Krampf“, sagt der Inhaber der Samenhandlung Am Bassin 11. Wenn endlich der Frühling Einzug hält, will der 58-Jährige mit dem Ausverkauf seiner Waren beginnen und dann voraussichtlich Ende Mai schließen. Nach 102 Jahren Samenhandlung Liebenow immer am gleichen Ort gibt ein alteingesessenes Potsdamer Unternehmen auf.
Der Sohn, erzählt Liebenow, habe einen gutbezahlten Job als Elektriker und kein Interesse, die Familientradition fortzusetzen. Man schreibe zwar noch schwarze Zahlen, betont Liebenow, der das Geschäft zusammen mit seiner Frau Beate führt und dem auch das Holländerhaus gehört, doch der Einzelhandel mit Gartenbedarf in seinem nur etwa 50 Quadratmeter großen Geschäft mache keinen Spaß mehr. Die Käufer seien in die Bau- und Gartenmärkte abgewandert. Zu ihm käme meist nur noch die ältere Generation, die kein Auto habe. Die wüsste eine gute Beratung noch zu schätzen. Bei den jungen Leuten müsse alles schnell gehen, sie wundern sich höchstens, dass die Kasse noch aus dem vorvorigen Jahrhundert stammt. Urgroßvater Fritz hatte das 1884 gebaute Stück für die Geschäftseröffnung 1908 bereits gebraucht gekauft.
Moderne Verkaufstechnik vermisst man im Geschäft der Liebenows ohnehin. Gerechnet wird im Kopf oder auf einem Zettel. Trotzdem habe alles bisher immer auf den Pfennig beziehungsweise Cent gestimmt, erklärt Liebenow stolz. Und noch ein Museumsstück ziert das Geschäft: eine Abfüllmaschine. Dort wurden Sämereien in einen Trichter geschüttet und in Tütchen nach Gewicht verpackt. Doch auch bei den neuen Artikeln hat Liebenow, der als Gärtner und Einzelhandelskaufmann ausgebildet ist, immer einen guten Rat auf Lager, kann das richtige Pflanzenschutzmittel empfehlen, beim Düngerkauf beraten oder den richtigen Samen benennen. Diese Kenntnisse werden nun jedoch vorwiegend dem eigenen Garten in Bornstedt zugute kommen. Und die Liebenows wollen reisen. Danach wird sich das Weitere finden, sagt der Firmenchef lakonisch. Die Geschäftsräume will er natürlich gern weitervermieten, meint aber, ein Dienstleister sei da besser aufgehoben als neuer Einzelhandel. Die Verlegung des Busbahnhofes habe die Gegend endgültig zu einer B-Lage gemacht.
Dabei hat der Laden auch ganz andere Zeiten gesehen. Urgroßvater Fritz richtete ihn für seinen 18-jährigen Sohn Erich ein, der das Geschäft erfolgreich bis 1945 führte. Urgroßvater Fritz war zu seiner Zeit ein höchst moderner Unternehmer. Er ließ Werbeflächen und Litfaßsäulen mit Plakaten bekleben. Stark verwaschen kann man am Haus immer noch die Aufschrift der Potsdamer Plakatumschlags- und Verbreitungsagentur erahnen. Von dieser Geschäftstüchtigkeit hat Wolfgang allerdings wenig geerbt. Werbung mag er nicht und das 100. Geschäftsjubiläum ließ er ohne Öffentlichkeit verstreichen. „Es gab nichts zu feiern“, sagt er.
Auch mit der Politik hatte die Familie nie etwas im Sinn, löckte höchstens mal gegen den Stachel wie beim Zarenbesuch. Das Aushängen von Anti-Zaren-Plakaten brachten Fritz ein Gerichtsverfahren und eine Strafe von drei Reichsmark ein. Um die Nazis konnte man einen Bogen machen und auch in der DDR war der Laden viel zu klein, um Verstaatlichungsgelüste zu wecken. „In der DDR haben wir nicht gehandelt, sondern unsere Kontingente weiterverteilt“, sagt Wolfgang Liebenow, der das Geschäft 1982 übernahm. Vor allem Gartengeräte seien knapp gewesen. Das habe nach der Wende zu einem regelrechten Verkaufsboom geführt, erzählt er. Auf einen Ritt habe man einmal 40 Rasenmäher an den Mann gebracht. Bis 1994 habe das gute Geschäft angehalten, dann seien die Gartenmärkte auf den Plan getreten und der Umsatz sei immer mehr eingebrochen. Als dann auch noch die Käufer aus dem Umland wegfielen, die nun am Hauptbahnhof aussteigen, sei es endgültig bergab gegangen.
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