Kolumne PYAnissimo: Sandmännchens Masterplan
Wenn ich Besuch von auswärts bekomme, freut der sich immer über eins ganz besonders: Die Berlinnähe! Ich buhle auch gerne damit.
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Wenn ich Besuch von auswärts bekomme, freut der sich immer über eins ganz besonders: Die Berlinnähe! Ich buhle auch gerne damit. Ihr könnt hier schlafen, sage ich, und seid in wenigen Minuten da, wo der Bär steppt. Potsdam ist ein guter Ort zum Schlafen. Wenn man nicht neben einer Baustelle wohnt, auf der gerade neue Schlaftstätten zusammengeschweißt werden, ist es hier herrlich ruhig. Sogar in der Innenstadt. Normalerweise sind Innenstädte berühmt für Nachtleben, Bars, Kneipen, Musik, Streetfood und diese gewisse Leichtigkeit. Das lieben Touristen geradezu. Auch Studenten finden das gut, und es soll sogar Einheimische geben, die abends aus dem Haus gehen.
Potsdam ist dafür sehr gut. Also zum Schlafen danach. Denn selbst in Potsdams schönster verkehrsberuhigter Zone, dem Neuen Markt, geht nach 18 Uhr gar nichts mehr. Vor allem kein öffentliches „Tanzbeinschwingen“ im Kutschstallhof, wozu die Stadt kürzlich eingeladen hatte, beim Lichterfestival. Es hat sich ausgeschwingt, weil jetzt eine Verwaltungsvorschrift anno 2000 auftauchte: Im historischen Gemäuer, meterdicke Sandsteinwände, Eins-a-Lärmschutz, dürfen nur geräuscharme Events stattfinden, und zwar angeblich zwischen 8 und 18 Uhr.
Das ist natürlich nur gut gemeint. Die Tanzbeinträger wären möglicherweise mit einem Pkw angereist und hätten den dann auf dem leeren Neuen Markt abgestellt. Dabei weiß doch jeder, dass das ganze Areal eine Parkverbotszone ist. Das Ordnungsamt macht schon Überstunden, um das den Leuten zu verklickern.
Also, keine Party, kein Parken. Und wer nicht parken kann, der wird gar nicht erst anreisen. So bleiben die Straßen schön frei. Kann man sich dran gewöhnen. Opa, der Knie hat, Mutti mit Kinderwagen und Getränkekiste, das geht im Umland viel besser. Innenstadtspritztouren? Überbewertet. Das Museum, das im Halbdunkel des Kutschstalls Landesgeschichte ausstellt, sehr schöne Geschichte übrigens, kann bald das Licht komplett ausmachen und das historische Pflaster wird nicht abgelatscht.
In dieser beruhigten Innenstadt findet heute ab 18 Uhr, Sandmännchenzeit, trotzdem die Sitzung des Stadtforums Potsdam statt. Ort: Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, HBPG. Wo genau steht nicht da, aber sicherheitshalber bestimmt im Flüsterton und ohne Kapelle. Thema: „Masterplan Klimaschutz, umweltverträgliche Mobilität und Strategien zur energetischen Sanierung des Gebäudebestands“. Ich glaube, das geht schnell. Der ViP entschleunigt bereits kräftig und der Gebäudebestand wird ganz hervorragend umweltverträglich und energetisch saniert – nämlich ruckzuck verkauft.
Aber das nur am Rande. Was die komische Vorschrift für das HBPG betrifft, also Totenstille nach 18 Uhr, bin ich zuversichtlich, dass sie bald abgeschafft wird. Immerhin war es keinem aufgefallen in all den Jahren, hier wurde, oft auf Einladung von höchster Stelle und mit prominenten Gästen, gefeiert, empfangen, präsentiert, diskutiert und getagt und es hat keinen gestört. Vermutlich wurde darüber bisher im HBPG mit gesundem Menschenverstand entschieden. Schöner Saal, steht leer, kann man nutzen, kommt Geld rein. Inklusive Standort-PR für alle. Sehr umweltverträglich, finde ich.
Unsere Autorin ist freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Babelsberg
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