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Landeshauptstadt: Sanssouci unterm Hakenkreuz

Das Potsdam Museum konnte historische Stadtfotos aus dem Atelier Eichgrün dank Spenden unter anderem von Springer-Vorstand Döpfner digitalisieren

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Er gab den Autos keine Chance. „Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist nur eine vorübergehende Erscheinung.“ Später allerdings wich seine Skepsis: Wilhelm II., dem diese Äußerung zugeschrieben wird, legte sich nämlich im Laufe seines Lebens selbst einen ansehnlichen Fuhrpark mit Kraftfahrzeugen an.

Auf einer Fotografie des Potsdamer Ateliers Eichgrün ist der letzte deutsche Kaiser zu sehen, wie er im Fond eines damals sicher ungemein modernen Autos sitzt und von einem Wagenlenker durch die Straßen chauffiert wird. Das Bild stammt aus einer Sammlung von 1 300 Glasplattennegativen der Hoffotografenfamilie Ernst und Walter Eichgrün, die der Förderverein des Potsdam Museums im Jahre 2007 für das Museum aus Spendenmitteln angekauft hatte. Inzwischen sind die kostbaren historischen Aufnahmen digitalisiert und in die mehrere Tausend Bilder umfassende Fotodatenbank des Museums eingepflegt worden. Bei der Vorstellung des Projekts am gestrigen Montag gewährten Förderverein und Museum der Presse einen kleinen Einblick in diesen digitalisierten Fotoschatz.

Woran heute die Zeppelinstraße und der Luftschiffhafen mit ihren Namen nur noch sachte erinnern – auf Eichgrüns Fotos wird die Potsdamer Vergangenheit der Luftschiffe wieder ganz lebendig: Eine Aufnahme aus der Zeit um 1913 zeigt den Blick über den Templiner See auf die große Luftschiffhalle am Ufer. Eine der „Riesenzigarren“ schwebt gerade aus dem Hangar heraus. Auf einem anderen Foto sieht man die Halle von innen. Der Fußboden ist gerade spiegelnass – offenbar wurde schnell noch gewischt, bevor der Fotograf kam. Wirklich gut zu sehen sind diese Spiegelungen auch jetzt noch nach Jahrzehnten. Judith Granzow, im Potsdam Museum verantwortlich für die Fotosammlung, lobte bei der Vorstellung der digitalisierten Bilder denn auch die große Schärfe der Aufnahmen. An den Fotos zeige sich ein „ganz besonderes handwerkliches Können“ der Fotografen.

„Eines meiner Lieblingsprojekte“ nennt Markus Wicke, der Vorsitzende des Museums-Fördervereins, die Sammlung der Eichgrün-Bilder, die sein Verein 2007 mithilfe von Spendenmitteln für das Potsdam Museum erwerben konnte. Was der Ankauf der 1 300 Glasplattennegative damals gekostet hat, will Wicke auch heute, sechs Jahre nach dem Coup, nicht verraten. „Da sage ich Ihnen nicht mal eine Größenordnung“, erklärte der Fördervereinschef am Montag. Hinsichtlich der Kosten für die Digitalisierung ließ er immerhin einen ungefähren Wert durchblicken: Ein mittlerer vierstelliger Betrag sei vonnöten gewesen. Finanziell ermöglicht wurde diese Digitalisierung unter anderem durch Spenden von Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner sowie von der im Bereich der Baudenkmalpflege tätigen Potsdamer Firma Roland Schulze. Die Digitalisierungsarbeiten selbst erfolgten durch Anja Isabel Schnapka. Ehrenamtliche Unterstützung erhielt sie dabei von Ingolf Schwan.

Für Granzow repräsentieren die Eichgrün-Fotos „ein Stück Architektur- und Potsdamgeschichte“. Auch nach der Digitalisierung der Aufnahmen gebe es „jetzt noch enormen Recherchebedarf“. Nun müsse man viele Details auf den zum Teil einmaligen Aufnahmen ermitteln. Das Museum plane, die Fotos für Recherchen digital zugänglich zu machen. Eine Veröffentlichung im Internet sei vorerst jedoch nicht angedacht. An den originalen Glasplattennegativen, die teils an die 100 Jahre alt sind, nagt hingegen der Zahn der Zeit. Manche, so wie das Foto von Kaiser Wilhelm – dort fehlt die linke untere Ecke – sind mechanisch beschädigt. Aber auch chemische Zersetzungsprozesse, etwa durch Fingerabdrücke, setzen dem kostbaren Bildmaterial zu.

Von 1890 bis 1957 haben zuerst Ernst Eichgrün und später sein Sohn Walter ihr Potsdamer Fotoatelier betrieben. Es sei für Potsdam einmalig, über einen so langen Zeitraum hinweg Fotos aus einem Atelier zu haben, sagt Granzow. Viele Aufnahmen fördern heute Spannendes zu Tage. Andere bringen Beschämendes hervor: So ist auf einem Foto vom 23. Februar 1933 zu sehen, dass bei der Trauerfeier für den Hofprediger Dr. Vogel in der Friedenskirche bereits mindestens eine Hakenkreuzfahne mitgeführt wurde. Und auch auf Potsdams berühmtestem Fotomotiv, dem Sommerschloss Friedrich II., prangte einst jenes Schandsymbol der Nazis.

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