Landeshauptstadt: Schäden sind vermeidbar
„Hörtour“der Fördergemeinschaft Gutes Hören hielt gestern vorm Brandenburger Tor
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„Hörtour“der Fördergemeinschaft Gutes Hören hielt gestern vorm Brandenburger Tor Leise, fast lautlos, ziehen Autos, Straßenbahnen und Menschen vorüber. Quietschende Reifen, warnende Sirenen und lachende Passanten werden kaum registriert. Das Leben erscheint wie in einem Film. Für manch einen ist das Realität - denn Schwerhörigkeit ist keine Seltenheit. Rund 14 Millionen Deutsche leben mit einer Hörminderung. „Tendenz steigend“, erläutert Sabine Schmid von der Fördergemeinschaft Gutes Hören (FGH). Die Zahlen sind geschätzt, denn in der Gesellschaft ist die Krankheit kein Thema, statt dessen wird sie belächelt. „Dabei sind Hörschäden verbreiteter als Diabetes, an dem sechs Millionen Menschen in der Bundesrepublik leiden.“ Um das Bewusstsein für die Krankheit zu schärfen, veranstaltet die 1966 gegründete Interessengemeinschaft von Hörakustikern aus ganz Deutschland seit drei Jahren eine „Hörtour“ quer durch die Republik. Gestern hielt der umgebaute weiße 7,5 Tonner am Brandenburger Tor. Die Projektleiterin und ortsansässige Hörakustiker warteten mit Informationen, Hörtests und Simulationen, wie man beispielsweise als 30-, 50- und 70-Jähriger hört, auf. Sichtlich begeistert nahmen Schüler und Lehrer aus der Allgemeinen Förderschule Ludwigsfelde das Angebot an. „Toll war der Hörtest“, erzählt der 13-jährige Nico. In einer schallisolierten Mess-Kabine wurden ihm über Kopfhörer vier Geräusche zunächst aufs rechte dann aufs linke Ohr gespielt, die er erkennen musste. In seinem Hörtest-Pass ist das Ergebnis festgehalten. „Ich kann gut hören“, meint der Schüler der 6. Klasse, „trotzdem werde ich mal wieder einen Test machen.“ Seine Lehrerin, Juliane Dreyer, suchte vor Jahren den Kontakt zur FGH. „Immer wieder stelle ich fest, dass die Schüler unkonzentriert sind und selten feine Nuancen in der Musik wahrnehmen.“ Die Ursachen hierfür sieht die Musikpädagogin in der starken Geräuschbelastung. Daher nutze sie ihren Unterricht, um das Gehör ihrer Schüler mit unterschiedlichen Übungen zu sensibilisieren. „Ohren sind ein Gut, dass es zu schützen gilt.“ Durch die FGH erfuhr sie von der diesjährigen „Hörtour“ durch 40 Städte. Kurz entschlossen meldete sie sich und einen Teil ihrer Schüler an. „Mir erscheint es wichtig, dass die Kinder auch von anderer Seite erfahren, dass sie auf ihr Gehör achten müssen.“ Die Kids testeten aus, in welcher Lautstärke sie ihre Musik am liebsten hören. Von 40 Dezibel bis weit über die natürliche Schmerzschwelle von 120 Dezibel reichte der Geräuschpegel. „Viele brauchen das“, resümiert Sabine Schmid. „Der Schaden ist vorprogrammiert.“ Zudem nehme das Gehör in Diskotheken und in Konzerten Schaden, wo der Schallpegel bei zirka 110 Dezibel liegt. Eine Studie der Universität Witten/Herdecke aus dem Jahre 2000 ergab, dass 19 Prozent der Bundesbürger ab dem 14. Lebensjahr eine Hörminderung haben. Auch kommen ein bis zwei von 1 000 Neugeborenen mit gravierenden Hörschädigungen auf die Welt. „Und nach Angaben des Deutschen Zentralregisters für kindliche Hörstörungen in Berlin müssen 80 000 Kinder spezielle Sonderschulen besuchen, da ihr Hörvermögen hochgradig gestört ist“, erläutert Sabine Schmid. Problematisch sei das mangelnde Bewusstsein für die irreversible Krankheit. Kaum jemand nutze die Möglichkeit der kostenlosen Hörtests. Ferner beuge die Mehrzahl der hörgeschädigten Menschen beispielsweise nicht mit Hörstöpseln vor oder trage, wenn erforderlich, eine Hörhilfe. „Schwerhörigkeit ist keine altersbedingte Erkrankung, wie allgemein verbreitet“, ergänzt Sabine Schmid. Natürlich gebe es Menschen mit einer genetischen Veranlagung, doch meistens ist die Schädigung des Gehörs auf andauernde Lärmbelästigung zurückzuführen. „Es ist erwiesen, dass die Ureinwohner Australiens im hohen Alter diese Probleme nicht kennen.“ Ulrike Strube
Ulrike Strube
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