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Landeshauptstadt: Scharfer Hahnenfuß
Wildes ist ihre Leidenschaft: Die Gärtnerin Uta Kietsch vermehrt Wildblumen und -gräser aus der Uckermark
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Temmen - Es ist brütend heiß. Die Bewässerungsmaschinen halten die frisch gepflanzten Glockenblumen und Margeriten nur mit Mühe feucht. Mittendrin kriecht Uta Kietsch durch die Reihen, harkt und jätet. Ergebnis dieser harten Arbeit wird später Saatgut sein, das mit dem üblichen Baumarktsortiment nichts gemeinsam hat. Auf ihren drei Hektar großen Feldern in Temmen (Uckermark) vermehrt sie rund 35 verschiedene einheimische Wildblumen und -gräser, um daraus sogenannte Regiosaaten zu gewinnen. Die sind zwar seit Jahren im Handel erhältlich, doch noch immer eine Rarität.
„Die heimischen Pflanzen haben sich in Tausenden Jahren durch natürliche Auslese an die Standortbedingungen angepasst“, erklärt die Gärtnermeisterin. „Pflanzt man Arten aus der ganzen Welt ohne Sinn und Verstand, kann das die heimische Flora und Fauna durcheinanderbringen.“ Eine aus Kroatien stammende Hundsrose beispielsweise blühe bis zu zwei Wochen früher als die heimische, worauf die vom Nektar lebenden Falter nicht eingestellt seien.
Durch Kreuzungen mit einheimischen Gewächsen könnten auch Mischformen entstehen, die die Natur ebenfalls aus dem Takt bringen. Andere fremde Arten könnten heimische ganz verdrängen, sagt die Gärtnerin. Um das zu vermeiden, vermehren laut dem Verband deutscher Wildpflanzen- und Wildsaatgutproduzenten (VWW) etwa 35 Mitgliedsbetriebe in ganz Deutschland Pflanzen aus ihren natürlichen Herkunftsräumen und helfen somit, die Artenvielfalt zu erhalten.
Uta Kietsch produziert auf ihrer „Wildsamen-Insel“ für das Nordostdeutsche Tiefland, das von Kiel im Norden bis fast nach Chemnitz im Süden reicht. Ihre Samen verkauft sie an Händler, mit denen sie Anbauverträge hat. „Was ich produziere, werde ich auch los“, sagt die Unternehmerin, zu deren Sortiment auch Pflanzen mit Namen wie Scharfer Hahnenfuß, Ferkelkraut und Bibernelle gehören Je nach Zusammenstellung lassen sich mit ihren Mischungen unter anderem Frisch- und Feuchtwiesen, Blühstreifen an Feldrändern, aber auch Dachbegrünungen, Schotter- und Parkplatzrasen und Blumenwiesen anlegen. Zu den Abnehmern gehören neben Gartenbaubetrieben auch die Initiatoren der Aktion „Berlin summt“, die nicht nur Bienenvölker auf Dächer stellen, sondern auch Wildblumenwiesen in Berlin anlegen wollen, um Bienen Nahrung zu bieten.
Der Weg vom Samen in die Tüte ist lang. Seit fünf Jahren streift die Gärtnerin im Umkreis von 40 Kilometern durch die uckermärkischen Wiesen und Wälder, um mit amtlicher Sammelerlaubnis und zum Teil mit Sondergenehmigungen Saatgut zu sichern. „Von der Aussaat bis zur Ernte vergehen dann noch mindestens zweieinhalb Jahre“, erläutert Kietsch.
Ist das Saatgut reif, mähen Kietsch und zwei Mitarbeiter meist mit einem Traktor. Auf einer Tenne in einer Scheune wird die Ernte getrocknet, dann gedroschen und verpackt. Manchmal zieht Kietsch auch mit einem Staubsauger durch die Felder und sammelt das Saatgut direkt ein. Die Gärtnerin freut sich, an der „Schnittstelle von Gartenbau und Naturschutz“ zu arbeiten.
Doch durchgesetzt hat sich dieser Naturschutzgedanke in Deutschland noch lange nicht. Nach Angaben von VWW-Geschäftsführer Markus Wieden liegt der Absatz von heimischem Wildpflanzensaatgut für Landschaftspflege und Naturschutz bislang bei weniger als einem Prozent der gehandelten Saatgutmenge für Begrünungen. Die Mehrheit der jährlich etwa 10 000 bis 15 000 ausgebrachten Tonnen Saatgut komme von Herstellern aus der ganzen Welt – das sei viel billiger.
Anja Sokolow
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