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Landeshauptstadt: Scharfschützen an der Maus

Beobachtungen im Jugendclub „Alpha“: Was Computerspieler von der Killerspiel-Debatte halten

René läuft über den Rasen, ein wenig geduckt, damit sein Gegner ihn nicht sieht. In der Hand hält er ein Gewehr aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Er blickt sich um, rennt weiter. Und schießt auf einen entfernten Punkt, der scheinbar zusammenbricht. Kurz darauf sucht sich René eine Deckung hinter einer kleinen Mauer. Blickt hinüber. Springt. Läuft auf ein Haus zu, das rechts von ihm steht. Ist fast da. Doch plötzlich Geschützfeuer. Renés virtuelles Ich stirbt. Und er flucht: „Scheiße, mich hat''s erwischt.“

Der 27-Jährige ist einer von rund fünfzehn jungen Männern, die an diesem Freitagabend im Jugendclub „Alpha“ im Bürgerhaus Am Schlaatz sich an einem improvisierten Tischkreis gegenüber sitzen und konzentriert auf ihre mitgebrachten Bildschirme schauen, die Hände dabei gleichzeitig auf Tastatur und Maus. Die Spielefreaks treffen sich nun schon ein paar Jahre, etwa alle zwei, drei Monate, um im mit vielen Kabeln zusammengeschlossenen Computernetzwerk gegeneinander anzutreten: Auf ihrer so genannten LAN-Party spielen sie die Art von realistischen Ballerspielen, die Politiker wie jüngst nach dem Amoklauf an einer Schule in dem Örtchen Emsdetten für krasse Gewalttaten verantwortlich machten. Nur das wohl bekannteste 3D-Schießspiel „Counterstrike“ wird im Jugendclub nicht gespielt: „Das mag hier keiner so recht, es ist zu langweilig“, sagt Sozialarbeiter Steffen Heise, der den regelmäßigen Spieletreff maßgeblich organisiert. Ab 18 darf jeder mitspielen, ab 16 nur mit Genehmigung der Eltern.

Gerade läuft über die Bildschirme „Battlefield 1942“: Es versetzt die Spieler mit seiner realistischen Grafik in den Zweiten Weltkrieg. Als Scharfschütze, Ingenieur oder normaler Infanterist müssen die Spieler, wenn sie gegeneinander antreten, verschiedene Kontrollpunkte – dargestellt als Fahnen – mittels Waffengewalt erobern und halten. „Das ist ähnlich wie Räuber und Gendarm spielen“, findet René. Es gehe darum, „einen Tick schneller“ zu sein als die Gegner: „Es ist eine Frage der besseren Strategie und Taktik.“

Aus diesem Blickwinkel kann auch niemand im Raum verstehen, warum solche Spiele wie „Battlefield“ als Killerspiele gesehen werden. „Es ist schade, dass eine Generation Jugendlicher, die mit solchen Spielen aufgewachsen sind, unter Generalverdacht gestellt wird“, sagt Steffen Heise. 99,9 Prozent würde wissen, dass sie die Bildschirmwelt nicht mit der Realität gleichsetzen dürften: „Die wissen, dass es anders als am Computer im realen Leben keine Speichertaste gibt, wenn eine Waffe im Spiel ist.“

Ob der Sozialarbeiter mit seiner Meinung Recht hat, ist wissenschaftlich umstritten. So stellt die aktuelle „Medien und Gewalt“-Studie des Bundesfamilienministeriums 2005 fest, dass es keine überzeugenden Belege gäbe, die einen Zusammenhang zwischen Gewalt und Computerspielen belegen würden – es existierten maximal Hinweise darauf. In der Forschung sollten daher stärker die Spieler und ihr soziales Umfeld berücksichtigt werden, ebenso der Einzelfall von Spiel zu Spiel.

Für René ist die Sache klar. „Mich würde kein Spiel zu Gewalt verleiten.“ Schon an sich sei das Töten von Menschen am Computer zu unrealistisch. „Es ist etwas völlig anderes, am Bildschirm problemlos zu laden und zu ballern, als real wie bei der Bundeswehr eine Waffe in der Hand zu halten.“ Ehe man in der Wirklichkeit auf jemand schieße, müsse noch viel mehr passieren. Henri Kramer

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