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Homepage: Schau mir in die Augen

Potsdamer Studenten forschen mit New Yorkern über eine Online-Plattform – und sollen sich dabei auch ein Bild voneinander machen

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„Auch in der digitalen Welt will ich meinem Gegenüber in die Augen schauen“, sagt Alexander Knoth. Für das kommende Semester bereitet der Soziologe ein Seminar vor, bei dem Studenten der Potsdamer Universität mit Studenten aus den USA gemeinsam forschen. Zusammen mit der amerikanischen Wissenschaftlerin Sandra Johnson entwickelt Knoth ein neues Lehrkonzept. „Geschlecht und Wohlfahrtsstaat“ sei das etwas sperrige Thema der Veranstaltung.

Der 29-jährige Soziologe hat bereits den Lehrpreis des Landes Brandenburg für innovative Lehre erhalten. Für die Universität Potsdam koordiniert er die Lehraktivitäten mit dem Collaborative Online International Learning (COIL) Netzwerk der State University of New York (SUNY). Bei der kommenden Lehrveranstaltung erprobt er ein Format, bei dem Potsdamer und amerikanische Studenten jeweils ein „Tandem“ bilden sollen. „Sie erarbeiten gemeinsam einen Artikel und stellen diesen dann auf den Blog der Lehrveranstaltung. Dort kann von allen beteiligten Studenten darüber diskutiert werden“, beschreibt Knoth das Konzept.

Es gehe aber nicht nur darum, die wissenschaftlichen Lehrinhalte zu vermitteln, sondern sich auch ein Bild von der Persönlichkeit des Kooperationspartners auf dem anderen Kontinent zu machen, sagt Knoth. Denn der Knackpunkt vieler internetbasierter Lehrveranstaltungen läge gerade darin, dass das Gegenüber nicht erkennbar sei und einfach zu wenig Kollaborationen stattfänden.

Nachdem in den vergangenen Jahren weltweit und auch in Potsdam eine ganze Reihe von Lehrveranstaltungen unter dem Schlagwort Mooc „Massiv Open Online Courses“ veranstaltet wurden, sei mittlerweile eine gewisse Ernüchterung eingetreten, so der Dozent. Denn es habe sich gezeigt, dass hohe Klick-Zahlen alleine noch lange nicht eine kontinuierliche Beteiligung an der Lehrveranstaltung und einen erfolgreichen Abschluss garantieren würden. Grund sei nicht zuletzt die Anonymität im Netz und die Möglichkeit, sich der Beteiligung auch vollkommen zu entziehen. Der nun geplante Kurs soll das ändern. Ein Foto, ein Film, oder auch ein persönlicher Kommentar der Studenten, die an dem Tandem beteiligt sind: So wird das Gegenüber erkennbar und das Seminar lebendig. Bei dem einzelnen Kontakt am Rechner soll es nicht bleiben. Viermal während der Lehrveranstaltung sind auch gemeinsame Treffen im Videoraum der Universität Potsdam geplant. Hier könne die Kamera schnell zwischen den Teilnehmern wechseln, die Potsdamer Studenten würden als ganze Seminarklasse für die New Yorker sichtbar. „Im direkten Austausch kommen erst die richtig spannenden Themen zur Sprache“, sagt Knoth. Eine Webseite zum Thema der Veranstaltung ist bereits im Netz einsehbar: newsactivist.com.

Schon seit Längerem befasst sich Knoth damit, inwiefern Geschlechterverhältnisse je nach kulturellem Kontext variieren. Eigentlich spiele das Geschlecht in alle gesellschaftlichen Bereiche hinein, meint Knoth. Ob es um die gleichgeschlechtliche Ehe, die Steuergesetzgebung oder den beruflichen Aufstieg von Frauen gehe, stets werde ein markanter Unterschied zwischen den Geschlechtern gemacht. Beim gegenwärtigen Seminar werde die Frage gestellt, wie diese Unterschiede in den USA und Deutschland sich gesellschaftlich niederschlagen.

Bei vergangenen Lehrveranstaltungen hat auch Frederik Ahlgrimm Erfahrungen mit den USA gemacht. Zusammen mit dem Potsdam College hat er Online-Kurse durchgeführt, an denen Potsdamer und Studenten aus New York beteiligt waren. Es habe sich allerdings gezeigt, dass die Studenten ihre alltäglichen Gewohnheiten im Umgang mit digitalen Medien gelegentlich auch auf den studentischen Blog übertragen würden. „Sie zeigen sich dann mit einem Scherzbild, oder dem Foto ihres Hundes, was nicht Zweck der Sache ist“, so Ahlgrimm. Die Plattform, die der Pädagoge verwendet hat, bot ebenfalls viele Austauschmöglichkeiten. „Da haben sich auch die stilleren Studenten beteiligt, die im Seminarraum möglicherweise vor ihren lauteren, bestimmend auftretenden Kollegen zurückgeschreckt wären“, vermutet Ahlgrimm.

Ein weiterer großer Vorteil der Online-Lehre sei, dass sie ermögliche, Gastdozenten aus unterschiedlichsten Teilen der Welt zu beteiligen, die sonst nie in Potsdam wären, bemerkt Knoth. Sabine Levet vom Massachusetts Institut of Technology beispielsweise sei eine Koryphäe, die er sonst wohl nicht einfach einladen könne. Auch die Wissenschaftlerin Bilkis Zabara aus Jemen könne er online nach Potsdam schalten. Anreisen könne sie schon deshalb nicht, weil der Jemen ein Ausreiseverbot verhängt habe.

Ahlgrimm und Knoth betonen allerdings, dass Online-Lehre mit erheblich mehr Aufwand verbunden ist als ein gewöhnliches Seminar. Denn nicht nur die Lehrinhalte, sondern auch die entsprechenden Computerprogramme müssten erst einmal gelernt werden, und zwar auch von den Lehrenden. Nicht zuletzt deshalb seien viele Online-Lehrangebote mittlerweile kommerzialisiert. Das sei in Potsdam allerdings nicht geplant, erklären die Wissenschaftler. Denn Wissenschaft und Lehre sollten in Deutschland möglichst auch frei von kommerziellen Zwängen sein, meinen Ahlgrimm und Knoth. Richard Rabensaat

Richard Rabensaat

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