Landeshauptstadt: Scheibengiraffe unterm Adventsstern
Kein Weihnachten ohne Pyramide: In Roglers Handwerksstube gibt es Holzkunst für alle 365 Tage im Jahr
Stand:
Oktober, das ist die Ruhe vor dem Sturm. Gerade ist Bernd Rogler aus dem Erzgebirge zurückgekommen, mit 15 Kubikmetern Ware im Auto – Kisten und Kästchen voller gedrechselter Tiere und Tannenbäumchen, Schwibbögen, Engel und Nussknacker. Nicht mehr lange, und es wird vorbei sein mit der Ruhe im Laden. In Spitzenzeiten drängen sich dann bis zu 50 Menschen zwischen erzgebirgischem Kunsthandwerk.
Es müssen Tausende Teile sein, minimalistische Installationen in Walnussschalen und mannshohe Pyramiden, die es hier zu bewundern und zu kaufen gibt. In den Monaten rund um Weihnachten macht Familie Rogler fast 50 Prozent ihres Jahresumsatzes. In dem kleinen Geschäft in der Brandenburger Straße ist jedoch irgendwie immer Weihnachten – winters wie sommers.
Die Kunden suchen hier nach besonderen Geschenken, Dekorationen für das eigene Heim, Souvenirs für Freunde im Ausland. Die Holzkunstwerke sind beliebtes Mitbringsel für Gasteltern von Austauschstudenten, besonders Amerikaner finden das sehr schick. Und so deutsch.
Warum die halbe Welt für Holzkunst aus dem Erzgebirge schwärmt, kann Bernd Rogler nicht erklären. Aber dafür, wie das alles entstanden sein mag: „Im langen Winter saß man eingeschneit in seinem Dorf und suchte sich eben Beschäftigung“, sagt er. Im Osterzgebirge wurde gedrechselt, im Westerzgebirge geschnitzt. Eine zufällige Entwicklung. „Manchmal wusste man nicht einmal, was hinter dem nächsten Berg los war“, sagt Rogler. Einen ganz leichten Akzent hört man bei dem 63-Jährigen noch heraus – er stammt aus einem Dorf bei Chemnitz. „Da wird man in all das hineingeboren“, sagt er. Solcherlei Heimatkunst gehörte überall dazu. In Potsdam führte er zunächst zwei Juweliergeschäfte, dann fragte ihn 1996 der Stern-Center-Manager, ob er nicht jemanden wüsste, der für den Center-Weihnachtsmarkt solche Sachen besorgen könnte. Rogler und seine Frau Sabine nahmen das selbst in die Hand. Seit 2000 gibt es nun das Geschäft in der Brandenburger Straße, dazu einen Onlineshop, Lager und Werkstatt im Bornstedter Feld.
Das Gedrechselte hat sich heute gegenüber der Schnitzkunst durchgesetzt. Auch Reifentiere gibt es hier: Im Laden liegt ein angeschnittener Holzring, an dem man sehen kann, wie daraus scheibchenweise Giraffen geschnitten werden. Denn es gibt in der Handwerksstube natürlich nicht nur Schmuck für Advent und Weihnachten. Hier steht Zubehör für ganze Bauernhöfe: „Schaf, schreitend, 4,40 Euro“ und „Kuh, fressend, mit Glocke, 8,60 Euro“. Regale gefüllt mit Kinderspielzeug von anno dazumal, Baukästen, Puzzle, Zieh- und Schiebefiguren. Und mittendrin ein komplettes Ensemble Kasperlpuppen. Doch hauptsächlich wird hier verkauft, was nicht zum Spielen, sondern zum Anschauen dient. Vitrinenbestückung, Sammlergut, schöner, herziger Schnickschnack, für den manche Käufer Hunderte Euro ausgeben, wenn das reicht. „Wendt & Kühn“-Figuren zu Dutzenden, ganze Blumenkinderaufmärsche, Engelorchester, filigrane Figuren, nur wenige Zentimeter groß, aber liebevoll gefertigt und bemalt, bis ins letzte Detail. Daneben Ganzjahresspieluhren, Osterhäschen aller Art und Geburtstagsschmuck.
Die ganze Herrlichkeit kulminiert in der Weihnachtsdekoration. Unter einem Himmel voller Herrnhuther Adventssterne Armeen von Räuchermännchen, in der sich jede Berufsgruppe wiederfindet, grimmig schauende Nussknacker, Wichtel und Kurrendesänger. Kerzentragende Engel und Bergleute. „Für Söhne stelle man Bergleute ins Fenster, für Töchter Engel“, sagt Rogler. So war das damals im Erzgebirge, in der dunklen Jahreszeit. Auch zum Schwibbogen gibt es eine Geschichte. Die Form ist dem Mundloch, dem Eingang eines Stollens an der Bergwand, nachempfunden. War es ein gutes Jahr ohne Unfälle, feierten die Bergleute und schmückten den Rundbogen des Eingangs mit Lichtern.
Bei Firma Rogler kann man sich so einen Schwibbogen nach individuellen Vorlieben zusammenstellen lassen, Grundplatte, Figuren und Bogen, schlicht oder beleuchtet, aussuchen. Auch Pyramiden und Weihnachtskrippenensembles funktionieren nach Baukastenprinzip: Nur die Heilige Familie oder darf’s auch etwas mehr sein, Ochs und Esel dazu? Wem etwas über die Jahre abhandengekommen ist, der bekommt Ersatzteile, Figuren, Bäumchen, Kerzenhaltereinsätze, Lager und Flügel für Pyramiden. Alles da. Schlimmstenfalls wird es in der hauseigenen Werkstatt, die Sohn Sascha leitet, repariert. Die junge Generation zeigt auch im Erzgebirge Interesse am Handwerk. Neue Designer bringen frischen Wind. Aus Seiffen kommen nun Weihnachtsmänner, die Harley oder Snowboard fahren, Kinderwagen schieben, Schnee schippen. Oder gar als besonnenbrillte Jazzcombo, witzig, aber nicht aufdringlich oder gar billig – in jeder Hinsicht.
Brandenburger Straße 64, Tel.: (0331) 280 09 91
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: