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Landeshauptstadt: Schicksal des Vaters nach 50 Jahren aufgeklärt

Egon Breetz weiß nun, unter welchen Umständen sein Vater starb – und an welchem Tag er getötet wurde

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Egon Breetz weiß nun, unter welchen Umständen sein Vater starb – und an welchem Tag er getötet wurde Von Erhart Hohenstein Nach mehr als 50-jährigen Bemühungen hat Dr. Egon Breetz endlich Aufschluss darüber erhalten, wo die sterblichen Überreste seines 1951 verschwundenen Vaters ruhen. Mit seinem Cousin, dem Astrophysiker Dr. Ewald Gerth, nahm der Potsdamer Geograph im Juli an der Einweihung des Gedenksteins teil, der auf dem Moskauer Donskoi-Friedhof deutschen Opfern des stalinistischen Terrors gesetzt wurde. Hier war die Asche der Hingerichteten vergraben worden. Das Totenbuch nennt mehr als 1000 deutsche Namen, darunter auch den von Erwin Breetz. Er war vom Sowjetischen Militärtribunal am 28. Dezember 1951 zum Tode verurteilt und am 20. März 1952 in Moskau erschossen worden. Über die Festnahme am 17. September 1951 haben Einwohner von Plänitz (jenes Prignitz-Dorfes, in dem 1945 die Landaufteilung der Bodenreform begann) berichtet: Im Morgengrauen hielt am Ortsrand eine dunkle Limousine. Mehrere Männer machten sich daran zu schaffen, um eine Panne vorzutäuschen. Erst nachdem Erwin Breetz allein im Haus war, nahmen sie ihn fest. Am Nachmittag wurde dann auch seine Frau auf ihrer Arbeitsstelle verhaftet. Die Männer wiesen sich als Mitarbeiter der Berliner Staatssicherheit aus. Selma Breetz wurde verhört, aber nach einigen Tagen wieder freigelassen. Zuvor musste sie gegenüber der DDR-Staatssicherheit noch ein Schweigegelöbnis abgeben. Erwin Beetz wurde vier Tage nach seiner Verhaftung durch die Staatssicherheit an den sowjetischen NKWD übergeben. Mutter und Sohn bekamen keinerlei Auskunft, wo er verblieben war. Jahrelang suchten sie vergeblich in Anfragen und Eingaben, so an die SED- und Staatschefs Walter Ulbricht und Erich Honecker, an Ministerpräsident Otto Grotewohl und Außenminister Lothar Bolz, etwas über das Schicksal des Verschleppten zu erfahren. Erst im Jahr 1958 teilte das Deutsche Rote Kreuz der DDR lakonisch mit, Erwin Breetz sei laut sowjetischer Auskunft am 26.12.1953 „verstorben“. Ein 1977 über einen Westberliner Anwalt an den westdeutschen DRK-Suchdienst gerichtetes Schreiben erbrachte das gleiche Ergebnis. Während der ganzen Jahre rätselte die Familie über den Grund der Verhaftung. Erwin Breetz hatte vor dem Zweiten Weltkrieg als Lehrer im Gebiet Prignitz-Ruppin vor allem durch seine archäologischen Forschungen und Grabungen, als Mitbegründer des Heimatmuseums in Wusterhausen und durch die versuchsweise Wiederbelebung des Seidenbaus einen hohen Bekanntheitsgrad erworben. Wie fast alle Lehrer war er Mitglied der NSDAP, wurde aber als Mitläufer entnazifiziert. Nach 1945 aus dem Schuldienst entlassen, arbeitete Breetz eine Zeit lang als Vertreter einer Fotofirma. Oft fuhr er mit umgeschnalltem Fotoapparat über Land. Hierin sieht sein Sohn Egon den möglichen Grund für seine Verhaftung, denn das von der Besatzungsmacht streng reglementierte Fotografieren konnte leicht einen Spionageverdacht auslösen. So ist es wohl gewesen, denn die nach 1990 wieder möglichen Nachforschungen ergaben, dass Erwin Breetz nach Paragraf 56, dem berüchtigten Spionageparagraphen des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation, zum Tode verurteilt wurde. Dies vermerkt auch die Urkunde der Moskauer Militärhauptstaatsanwaltschaft, mit der der Prignitzer Lehrer auf Antrag seines Sohnes inzwischen rehabilitiert wurde. Außerdem nennt sie als exaktes Hinrichtungsdatum den 20. März 1952. Nähere Aufschlüsse könnten die Prozessakten geben. Sie wurden von russischer Seite den Angehörigen der Opfer aber nur einmalig für wenige Stunden zugänglich gemacht, als Breetz und Gerth noch nicht in Moskau eingetroffen waren. Das Todesdatum kann nun auch auf dem Grabstein korrigiert werden, der in Groß Welle steht, wo Erwin Breetz 1900 als Sohn eines Lehrers und Kantors geboren worden war. Sein Sohn Egon und Neffe Ewald Gerth hatten den Stein Mitte der 60er Jahre nach ihren damaligen Erkenntnissen setzen lassen, um an das Opfer stalinistischen Terrors zu erinnern. „Von der russisch-deutschen Menschenrechtsorganisation Memorial über das Forschungsinstitut facts & files, die Stiftung Aufarbeitung und den Russland-Experten der Landesregierung, Dr. Helmut Domke, bis hin zu Matthias Platzeck, der als Bundesratspräsident auf dem Donskoi-Friedhof eine Gedenkansprache hielt, habe ich vielen Menschen dafür zu danken, dass das Schicksal meines Vaters aufgeklärt werden konnte und an ihn nun in würdiger Form erinnert wird", sagt Dr. Egon Breetz.

Erhart Hohenstein

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