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Landeshauptstadt: Schlaatzer Typ

Petra Sell hat Lieder und Gedichte über ihren Kiez geschrieben. Sie will dort nie wieder weg

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Petra Sell kann eigentlich recht gut mit Worten umgehen, so gut, dass sie in den letzten Jahren Reim an Reim produzierte und jetzt eine kleine Liedersammlung über ihr Wohngebiet Schlaatz entstanden ist. Nun steht sie vor dem Publikum, dem sie das fertige Buch präsentieren will, und sucht nach Worten: „Liebe Gäste, hallo Nachbarn – also ich lese dann doch lieber ab“, sagt sie aufgeregt und greift zu ihrer vorbereiteten Rede.

Gerade noch wurden sie und Helmut Bohm, der die Texte vertonte, fotografiert. „Ist ja wie bei der Berlinale“, sagte jemand im Publikum. Der Saal im Friedrich-Reinsch-Haus ist voll, bestimmt 50 Nachbarn sind gekommen, Petra Sell macht das nicht ruhiger. Dabei kennt sie hier fast alle. Die 54-Jährige gehört praktisch zu den Ureinwohnern des Plattenbau-Wohngebiets an den Nuthewiesen. 1983 bezog sie ihre Wohnung im Schilfhof, heute ein Vorzeige-Mieterprojekt. Und wohnt immer noch in genau dieser Wohnung. „Wegziehen – nur mit den Füßen voraus“, sagt sie ohne langes Zögern. Wie viele andere, die an diesem Nachmittag in die Begegnungsstätte gekommen sind, ist sie überzeugt: „Es lebt sich hier nicht schlechter als anderswo.“

Vom Buffet weht Kuchenduft, doch Petra Sell kommt in Schwung und muss erzählen. Wie sie vor 20 Monaten, sie weiß noch das genaue Datum, bei einer Nachbarschaftskonferenz ihre Idee für dieses „Schlaatzer Lieder- und Lesebuch mit CD“ vorstellte. „Ich war so nervös: machste das oder nicht? Ich hatte ja schon drei Texte fertig! Aber Friedrich Reinsch hat gesagt: Petra, das schaffst du!“ Es sei schade, dass er heute nicht dabei sei, so Petra Sell über den einstigen Leiter des Hauses, der im Dezember 2011 überraschend verstorben war. Und so hat sie weitergemacht, als erstes eine Hymne für ihr Mieterprojekt geschrieben, und als Helmut Bohm fertig war mit Komponieren, habe der gesagt: Petra, schreib mal mehr Texte!

Reimen, das habe sie schon als Kind gemacht, sagt Petra Sell später, als sie schon Bücher signiert. Heute dichtet sie für Glückwunschkarten oder den Schaukasten vor dem Haus. „Wenn ich dran bin mit der Gestaltung, ist immer alles in Reimform“, sagt sie. Sie hat dafür auch Zeit, „Ich bin ohne Arbeit, also zu Hause“, sagt Petra Sell.

Arbeitslos sind viele Bewohner des Schlaatzes, außerdem wohnen hier viele Ausländer. Auch darum, um Vorurteile zum Beispiel und wie sie damit hier umgehen, geht es in den Liedern und Gedichten, die Petra Sell geschrieben hat. Die Texte, so sagt es Potsdams Sozialdezernentin Elona Müller Preinesberger (parteilos), die in der ersten Reihe sitzt, „sind identitätsstiftend“. Sie sind in ihrer Wortwahl frisch und geradeaus, und mancher Reim ist etwas geradebrecht, aber das hier ist kein Poetry-Slam. Hier hat eine Frau die Seele ihrer Nachbarschaft entdeckt und ihr liebevoll Ausdruck verliehen. So schrieb sie: „Sei willkommen, neuer Nachbar, glaube mir, vieles ist hier machbar“. Dann dichtete sie über ihr „Multikulti Viertel“ mit tollen Festen, und will mit ihrem Lied „Stille Helden“ dazu einladen, den Nachbarn kennenzulernen: „Miteinander leben, was ist daran verkehrt?“ Der ist vermutlich auch nur so ein „Schlaatzer Typ“ wie sie selbst. Auch ein Lied über die Biberpopulation der Nuthe hat es übrigens auf die CD geschafft.

Zwischen ihren Erzählungen spielt Petra Sell an dem Nachmittag die Lieder der CD ab. Gitarre und Helmut Bohms Stimme, ab und zu ein kleiner Frauenchor. Manchmal klatschen und singen die Gäste mit, ein kleines Mädchen reißt die Mama zum Tanzen hoch. Zum Schluss greift Bohm dann doch zur Gitarre und singt das letzte Lied live. Der 62-Jährige lebt ebenfalls seit 30 Jahren hier. Zu DDR-Zeiten war er in der Singebewegung aktiv, sagt er, nun leitet er eine Singegruppe in der Begegnungsstätte.

Das kleine Büchlein könnte ein fester Referenzpunkt für alle Schlaatzer werden – genauso wie es sich Petra Sell vorgestellt hat, heißt es doch auf dem Cover: „Von und mit und für Schlaatzer und alle, die den Schlaatz noch nicht kennen“. Viele Seiten sind dem Thema Stadtteilgeschichte gewidmet, enthalten Fotos und Grafiken, zusammengestellt von Hans-Jürgen Paech, Burghard Sell, Jutta Jagßenties. Finanziert wurde das Projekt durch den Fond „Integration und Nachbarschaft“ der Stadt Potsdam. 300 Bücher konnten so gedruckt werden, erhältlich (inkl. CD) im Friedrich-Reinsch-Haus für 7,50 Euro. Steffi Pyanoe

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