
© Manfred Thomas
Gedenkstätte Lindenstraße: Schlafkontrollen
Tag der Deutschen Einheit: In der Gedenkstätte Lindenstraße wurde ein neuer Audioguide vorgestellt, den Potsdamer Schüler entworfen haben.
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Innenstadt - Gerade auf den Rücken liegend, das Gesicht zur Tür gewandt und beide Hände auf der Decke liegend – so mussten die Häftlinge im Stasi-Untersuchungsgefängnis in der Lindenstraße Potsdam die Nacht verbringen. Wer sich nicht daran hielt, wurde durch Wächter geweckt, die alle paar Minuten durch die Luken in den Gefängnistüren die Häftlinge kontrollierten. An Schlaf war kaum zu denken. An kaum einem anderen Tag sind solche Geschichten und die Schicksale der politisch Verfolgten und Mauertoten so präsent wie am Tag der Deutschen Einheit.
Die Gedenkstätte Lindenstraße für die Opfer politischer Gewalt im 20. Jahrhundert hat anlässlich der Feierlichkeiten zum wiederholten Male zu einem Tag der offenen Tür eingeladen, um sich und ihre Arbeit zu präsentieren, aber auch, um das Gedenken lebendig zu halten. Der wichtigste Tagesordnungspunkt: Neben den Führungen durch den ehemaligen Haft- und Gerichtsort wird an diesem Tag ein neuer Audioguide vorgestellt, der mit pädagogischer Unterstützung von 29 Schülern des Seminarkurses „Wir machen Geschichte“ des Einstein- und des Helmholtz-Gymnasiums in Potsdam entwickelt und erarbeitet wurde. Die Zielgruppe sind andere Jugendliche zwischen 14 bis 20 Jahren.
An 20 Stationen in der Gedenkstätte können die Jugendlichen etwas über die Zeit der Lindenstraße 54 als Gericht und Haftanstalt während des Nationalsozialismus, in der Zeit der sowjetischen Besatzung, während der DDR und nach der Friedlichen Revolution erfahren. Der einjährige Kurs sollte den Schülern vor allem das wissenschaftliche Arbeiten vermitteln.
Auch einige Teilnehmer des Kurs sind am Montag anwesend. „Der Audioguide war eine interessante Erfahrung, die man so nicht häufig macht“, sagt die 17-jährige Gemma Sedrakjan vom Helmholtz-Gymnasium. Die einzelnen Inhalte, die der Kurs für den Guide erarbeitet und als Hörbeiträge eingesprochen hat, haben auf die Schüler einen bleibenden Eindruck hinterlassen, hieß es mehrfach. Für Kim Lübcke vom Einstein-Gymnasium ist eine Konsequenz aus dem Seminar, „aus der Geschichte zu lernen und die Fehler nicht zu wiederholen“. Die vielen Einzelschicksale hätten alle zu tiefst berührt. Geraldine Schmidt vom Einstein-Gymnasium haben besonders die Lebensbedingungen der Häftlinge erschüttert, wie die Schlafkontrollen und Hygienezustände im Gefängnis.
Auch wenn der Audioguide sich vornehmlich an Jugendliche richtet, sollen sich auch Erwachsene davon angesprochen fühlen. Auf der Seite des Internetblogs www.wir-machen-geschichte.de, kann nicht nur der Guide heruntergeladen, sondern auch einzelne Beiträge, die Arbeitsschritte und die Eindrücke der Schüler nachgelesen werden. Und: Für die Gedenkstätte Lindenstraße ist es der erste Audioguide, wie Gedenkstättenpädagogin Kerstin Lorenz erklärt.
Die Führungen an diesem Tag werden von Waltraud Börner geführt, die Mitglied der „Fördergemeinschaft Lindenstraße 54“ ist, die sich nach der Wende für die Erhaltung des Ortes als Gedenkstätte stark gemacht hat. Sehr lebhaft und informativ werden von ihr nicht nur an den einzelnen Stationen die Fakten erläutert, sondern auch persönliche Erinnerungen und Eindrücke eingestreut. So erzählt sie, wie sie für eine Bekannte, die in den Westen geflüchtet war, Bücher aufbewahrt hatte und nach und nach in den Westen schickte, ohne sich damals über Konsequenzen wirklich Gedanken gemacht zu haben.
Die meisten Besucher an diesem Tag kommen aus den alten Bundesländern. Dementsprechend wenig ist über den Alltag der DDR und die Haftbedingungen in der Lindenstraße bekannt. Nur wenige wissen zum Beispiel, dass die DDR erst 1987 die Todesstrafe abgeschafft hat oder dass ausgerechnet die Kirche ein wichtiger Schutzhort für Jugendbewegungen in der DDR war, inklusive Punkkonzerten in Gotteshäusern.
Sarah Stoffers
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