Landeshauptstadt: Schlummerndes Potenzial
Auch in Potsdam geht der Aufschwung am Arbeitsmarkt an Langzeitarbeitslosen vorbei
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Während in der Wirtschaft zunehmend über den Mangel an Arbeitskräften geklagt wird, lassen Arbeitgeber das Potenzial vieler Langzeitarbeitsloser offenbar weitgehend brach liegen. So ist die Arbeitslosigkeit in den vergangen Jahren kontinuierlich gesunken. Im Juni lag sie in Potsdam bei 6,4 Prozent – so niedrig wie seit 25 Jahren nicht mehr. Die Zahl der freien Stellen ist im Jahresvergleich um 511 auf 1719 gewachsen. Doch die bundesweit gute Entwicklung kommt auch in Potsdam bei vielen Menschen nicht an, die schon länger nach einer Stelle suchen.
2107 Potsdamer waren zuletzt länger als ein Jahr ohne Job – dann gilt man als langzeitarbeitslos. Etwa drei Viertel davon bekommen Hartz IV. Das beurteilt auch das Rathaus als problematisch: „Die Potsdamer Langzeitarbeitslosen haben von der guten Konjunktur unzureichend profitiert“, so Sprecher Jan Brunzlow. Seit Mai 2008 konnte die durchschnittliche Zahl langzeitarbeitsloser Potsdamer nicht wesentlich gesenkt werden.
Rein rechnerisch könnte die Zahl deutlich verringert werden, wenn sich nur jedes Unternehmen ein bisschen bewegt. „Wir können viel machen, aber die Arbeitgeber müssen auch mitspielen.“ So gibt es in Potsdam etwa 650 Arbeitgeber mit 50 oder mehr Mitarbeitern. Würde jeder einen Bewerber einstellen, der schon länger als ein Jahr ohne Job ist, gäbe es fast ein Drittel weniger Langzeitarbeitslose in der Stadt.
Doch so einfach ist es natürlich nicht. „Die Erwartungen klaffen auseinander“, so Thomas Brincker. Er ist als Leiter des Potsdamer Jobcenters für die Hartz-IV- Empfänger zuständig. Idealerweise suchten viele Arbeitgeber nach Bewerbern, die sofort voll produktiv seien. Dieses Ideal lasse sich schwer verwirklichen, wenn ein Bewerber längere Zeit nicht mehr im Beruf gearbeitet habe. Dabei gebe es viel schlummerndes Potenzial.
Doch bei Wirtschaftsverbänden stößt das Thema auf wenig Interesse. Fragt man nach den Hemmnissen für die Integration von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt oder ob es unter Langzeitarbeitslosen keine geeigneten Kandidaten für die vielen offenen Stellen gibt, sind die Antworten dünn: „Das Thema Langzeitarbeitslose wird von den Kammern nicht bearbeitet, da dies nicht unsere Aufgabe ist“, teilte die Potsdamer Industrie- und Handelskammer (IHK) auf Anfrage mit. Auch die Handwerkskammer verweist an das Jobcenter.
Brincker plädiert dafür, dass sich Arbeitgeber und Bewerber erst mal kennenlernen. Es gebe die Möglichkeit, bis zu drei Wochen probeweise zu arbeiten. „Maßnahmen beim Arbeitgeber“ nennt sich das im Verwaltungsdeutsch. Bewerber könnten so neue Kontakte knüpfen und die Strukturen in dem Unternehmen kennenlernen. Und die Arbeitgeber ändern durch das Kennenlernen oft das Bild, das sie vom Bewerber haben, so die Erfahrung. Anfangs werde häufig mangelnde Flexibilität befürchtet. Dann bemerke man jedoch, dass der Bewerber ein Mensch mit Erfahrungen sei, die nützlich sein können. In den ersten Monaten kann das Jobcenter den Arbeitgeber mit einem Einkommenszuschuss unterstützen. Eine Statistik, wie erfolgreich diese Maßnahmen sind, gibt es zwar nicht. Stichproben lassen laut Brincker aber einen Erfolg erkennen.
Doch die Berührungsängste sind nur ein Aspekt: Im Potsdamer Jobcenter spricht man von einem vielschichtigen Problem. Es gebe zahlreiche Vermittlungshemmnisse. Kommen mehrere zusammen, wird es schwer, eine Stelle zu finden. Für einen Teil der Langzeitarbeitslosen wird es auch in Zukunft schwer. Brincker zeigt auf eine Tabelle des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarktforschung. Sie zählt die Vermittlungshemmnisse ihrer Schwere nach auf. Ganz oben stehen schwangere Frauen und Frauen mit Kindern unter drei Jahren. Weiter unten steht ein Alter über 50 Jahre. Erst danach kommt ein fehlender Schulabschluss.
Dass es durchaus gute Erfahrungen mit der Reintegration von Langzeitarbeitslosen gibt, zeigt ein Projekt der Stadtverwaltung: 41 Langzeitarbeitslose hatte die Stadtverwaltung im Jahr 2014 für eine Dauer von zwei Jahren sozialversicherungspflichtig eingestellt. 75 Prozent der Personalkosten wurden vom Jobcenter gefördert, die Stadt stockte die Bezahlung auf den entsprechenden Tariflohn auf. Die Teilnehmer archivierten in Büros der Verwaltung Akten, übernahmen Kopierarbeiten, halfen in Schulen oder pflegten Grünanlagen, Uferwege und Friedhöfe. Die Erfahrungen seien auf beiden Seiten positiv, so Stadtsprecher Brunzlow. Nach Projektende im August sollen alle Teilnehmer in einem vom Europäischen Sozialfonds geförderten Projekt weiter betreut werden. Fünf von ihnen haben mittlerweile eine Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt gefunden.
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