
© Kai-Uwe Heinrich
Landeshauptstadt: Schluss mit der Zettelwirtschaft
Beim Acht-Millionen-Euro-Projekt „DWerft“ erarbeiten Babelsberger Filmexperten Zukunftstechnologien
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Babelsberg - 1,3 Millionen Stunden Film – für das Anschauen würde man selbst ohne Schlaf und im 24-Stunden-Modus mehr als 148 Jahre brauchen. So viel Filmmaterial schlummert derzeit Schätzungen zufolge in den großen und kleinen Archiven und Museen in Deutschland und ist noch nicht digital erfasst. Diesen Schatz zu heben und für die Öffentlichkeit besser zugänglich zu machen, daran arbeitet der Babelsberger Forschungsverbund „DWerft“ mit. Die Initiative will digitale Technologien für die Produktion, den Vertrieb und die Archivierung von Film entwickeln. Mit rund acht Millionen Euro, sechs Millionen davon als Fördergeld vom Bundesforschungsministerium, ist das auf drei Jahre angelegte Projekt finanziert. Am gestrigen Dienstag stellten Vertreter der zehn beteiligten Unternehmen und Institutionen bei einer Konferenz im FX-Center in der Medienstadt Babelsberg ihren Branchenkollegen erste Ergebnisse vor.
Gearbeitet wird an fünf Teilprojekten. „DWerft“-Sprecher Jörg Wehling ist vor allem mit der Archivierung beschäftigt. Das Deutsche Rundfunkarchiv in Babelsberg, bei dem Wehling Leiter für die Bestände und die Technik ist, ist dabei vergleichsweise weit: Von den 40 000 im Archiv verwahrten Filmstunden sind bereits 36 500 digitalisiert. Allerdings mit enormem Aufwand, wie Wehling berichtet: Das historische Filmmaterial muss per Hand auf Qualität untersucht werden, Fehlstellen beispielsweise müssen mit Klebestreifen ausgebessert werden. Eine Minute Laufzeit kann so bis zu 40 Minuten Bearbeitungszeit bedeuten.
Das soll mit der von der „DWerft“ erarbeiteten Technologie besser werden: Wehling und seine Mitstreiter arbeiten an einem Gerät, das Schäden automatisch erkennt und gegebenenfalls selbst ausbessert. „Für Videokassetten gibt es so etwas schon“, sagt Wehling. Die Entwicklung sei auch deshalb wichtig, weil die Fachleute, die sich mit dem alten Filmmaterial auskennen, zunehmend selten werden – und Filmmaterial zudem nicht nur in speziellen Filmarchiven, sondern etwa auch in Stadtarchiven oder -museen schlummert.
Aber der Verbund kümmert sich nicht nur um vorhandene Filmschätze, sondern auch um neue Produktionen. Auch da gibt es noch große Potenziale zur Zeit- und Arbeitsersparnis, wie Robert Friebe von der Filmuniversität Babelsberg „Konrad Wolf“ erklärt. Dabei geht es vor allem um die systematische Speicherung und Nutzung sogenannter Metadaten: Gemeint sind die Daten, die die digitalen Filmkameras heute neben dem eigentlichen Bild und dem Ton ohnehin aufzeichnen – der Timecode, der später Filmszenen wieder auffindbar macht, aber auch Informationen zu Blende und Belichtung. Obwohl die Informationen digital vorliegen, herrsche in der Praxis oft eine Zettelwirtschaft: Der Kameramann führt am Set einen Zettel darüber, welche Klappe wann aufgenommen wurde, das wird dann wiederum von demjenigen abgeschrieben, der die Aufnahmen auf den Rechner kopiert, damit keine Szenen verloren gehen – und der Schnittmeister legt sich eine neue Liste an. „Jeder Arbeitsschritt hat seine Insellösung entwickelt“, beschreibt Friebe das Dilemma. Das betreffe auch die Systeme im Filmverleih und die damit verbundene Klärung der Rechte an dem Material.
Das von dem Verbund angestrebte integrierte System soll die Arbeit vereinfachen: Jeder soll die jeweils benötigten Daten ohne Zettelwirtschaft digital erhalten. Möglich werden soll das mit einer Datenplattform mit dem Namen „Linked Open Production Data Cloud“. Sie wird am Hasso-Plattner-Institut (HPI) von der Arbeitsgruppe von HPI-Wissenschaftler Harald Sack entwickelt, wie ein HPI-Sprecher erklärte. Ziel sei es, die Fülle der Daten intelligent zu organisieren und zu vernetzen. Dafür analysieren die HPI-Wissenschaftler zunächst die einzelnen Arbeitsschritte. 2017 will der Verbund so weit sein, dass er eine „prototypische Demonstration“ vornehmen kann, wie Friebe sagt: Dann soll das neue System von Studenten der Filmuni an einem Filmprojekt beispielhaft durchgespielt werden.
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