Kinderbetreuung in Potsdam: Schlüssel versagt im Praxistest
Weil viele Eltern ihre Kinder deutlich länger in der Kita betreuen lassen als früher, reicht das Personal nicht mehr aus. Statt wie vorgegeben sechs Kinder betreut jeder Erzieher heute mehr als sieben
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Mehr als drei Viertel aller Potsdamer Kita-Kinder unter drei Jahren erhalten nicht die gesetzlich vorgeschriebene Betreuung: Statt eines Erzieher-Kind-Verhältnisses von eins zu sechs, wie es das Kitagesetz des Landes Brandenburg vorsieht, liegt der sogenannte Personalschlüssel in der Praxis bei eins zu 7,2. Das zumindest geht aus einer Studie der Bertelsmann-Stiftung aus Gütersloh hervor. Im Rahmen eines Modellprojektes zur Kita-Situation in Brandenburg hat die Stiftung in einem ersten Schritt die Lage in Potsdam analysiert. Dabei hat sich gezeigt, dass der tägliche Betreuungsbedarf offenbar weitaus größer ist, als es die Zahl der zur Verfügung stehenden Erzieher erlaubt. Um die Lücken zu schließen, seien in Potsdam zusätzliche 70 600 Euro pro Jahr notig, erklärte die Bertelsmann-Stiftung am Montag.
Für die Untersuchung wurden Daten aus 26 von insgesamt 100 Potsdamer Kitas ausgewertet. Allerdings stammt die Erhebung aus dem Jahr 2011. Der Grund dafür, dass der Personalschlüssel nicht eingehalten werden kann, ist laut der Stiftung der Tatsache geschuldet, dass knapp 78 Prozent der unter 3-Jährigen täglich acht Stunden und mehr in der Kita bleiben, das Budget für die Personalaustattung aber nur für eine gesetzeskonforme Betreuung von maximal 7,5 Stunden reicht. „Werden Kinder länger als 7,5 Stunden täglich betreut, wie derzeit für die Mehrzahl in Potsdam üblich, muss das vorhandene Personal über die längeren Betreuungszeiten verteilt werden“, heißt es in der Studie. Ein Missverhältnis aus demselben Grund hat die Bertelsmann-Stiftung auch für die Altergruppe der mehr als 3-Jährigen in Potsdam festgestellt. Dort liege der Personalschlüssel in der Praxis bei eins zu 12,5 statt bei eins zu zwölf, wie es das Kitagesetz vorgibt. „Langfristig müssen in Brandenburg wie in allen östlichen Bundesländern deutlich mehr Mittel für eine bessere Personalausstattung investiert werden“, forderte Anette Stein von der Bertelsmann-Stiftung. Allerdings hält die Stiftung die Landesvorgaben generell für unzureichend. Für unter 3-Jährige empfiehlt sie einen Schlüssel von eins zu drei und bei Älteren ein Verhältnis von eins zu 7,5.
Die Liga der freien Wohlfahrtsverbände sieht sich nach eigenen Worten durch die Ergebnisse der Untersuchung sogar auf „alarmierende Art“ mit ihren Forderungen nach verbesserten Rahmenbedingungen in den Kindertagesstätten bestätigt. Brandenburg sei nicht nur im bundesweiten Vergleich Schlusslicht bei der Personalausstattung, sondern schaffe es noch nicht einmal, den eigenen gesetzlichen Personalschlüssel umzusetzen, erklärt Anne Böttcher, Vorsitzende der Liga und Geschäftsführerin des AWO-Landesverbandes. Ziehe man dann noch die Zeit für andere wichtige Aufgaben wie die Vor- und Nachbereitung, Elterngespräche und Fehlzeiten wegen Fortbildung ab, so führe dies zwangsläufig dazu, dass in der Praxis eine pädagogische Fachkraft nicht nur sechs unter 3-Jährige, sondern sogar neun oder mehr Kinder gleichzeitig betreuen müsse, so Böttcher. „Es braucht daher dringend neben einer Verbesserung des gesetzlichen Personalschlüssels und Regelungen zur Leitungsfreistellung auch einer bedarfsgerechten, auskömmlichen Finanzierung entsprechend der zeitlichen Betreuungsbedarfe der Kinder.“
Im Landesbildungsministerium sieht man sich zu Unrecht in der Kritik, sieht aber Nachsteuerungsbedarf. „Dass der Personalschlüssel nicht realisiert werden kann, ist falsch“, widersprach Ministeriumssprecher Stephan Breiding den Autoren der Studie. Es handele sich um einen rein rechnerischen Schlüssel, was eben nicht bedeute, dass im Alltag zu jeder Zeit auf jeden Erzieher nur sechs Kinder kämen. Wenn ein Kita-Träger eine längere Betreuungszeit anbieten wolle, müsse er auch schauen, wie sich das Angebot im Rahmen der Möglichkeiten realisieren lasse. „Richtig ist, dass es bei der Kinderbetreuung einen Trend zu längeren Betreuungszeiten gibt“, räumte der Ministeriumssprecher ein. Möglicherweise müsse die Finanzierung in der nächsten Legislaturperiode entsprechend angepasst werden. Nach eigenen Angaben gibt das Land jährlich rund 230 Millionen Euro für die Kita-Finanzierung aus. Das seien rund 100 Millionen Euro mehr als noch vor zehn Jahren. Erst nach der jüngsten Landtagswahl 2009 hatte die rot-rote Landesregierung die Personalschlüssel zudem leicht verbessert: bei unter 3-Jährigen von eins zu sieben auf eins zu sechs und bei älteren von eins zu 13 auf eins zu zwölf.
Aus Sicht der Grünen-Landtagsfraktion hat sich die Änderung aber kaum bemerkbar gemacht. Vielmehr zeige die Studie der Bertelsmann-Stiftung erneut, wie es um die Betreuung von Krippenkindern in Brandenburg bestellt sei, erklärte die Grünen-Bildungsexpertin Marie Luise von Halem. „Einmal mehr wird klar, dass Brandenburg dringend mehr in die frühkindliche Bildung investieren muss, wenn es die Rote Laterne bei der Betreuungsrelation in den Kitas endlich abgeben will.“
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