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MEIN WENDEHerbst: Schnecken essen

JAHREMAUERFALLDer Herbst 1989 ist als „Friedliche Revolution“ in die deutsche Geschichte eingegangen. Hunderttausende DDR-Bürger demonstrieren in diesen Tagen für Veränderung im Land – in den Abendstunden des 9.

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JAHRE

MAUERFALL

Der Herbst 1989 ist als „Friedliche Revolution“ in die deutsche Geschichte eingegangen. Hunderttausende DDR-Bürger demonstrieren in diesen Tagen für Veränderung im Land – in den Abendstunden des 9. November fällt die Mauer. An dieser Stelle erinnern sich in den Potsdamer Neuesten Nachrichten täglich Menschen in Potsdam an ihre Erlebnisse in dieser Zeit. Heute: Dorren Jacobi. Die 35-jährige gebürtige Potsdamerin ist Mit-Gründerin der Softwarefirma Derdack GmbH und Schauspielerin.

Der Westen schmeckte für Doreen Jacobi erst einmal nach Schnecken. „Eklig“ fand die damals 15-Jährige das, was ihr einen Tag nach dem Mauerfall beim ersten Besuch in West-Berlin im italienischen Restaurant aufgetischt wurde. Dorthin eingeladen hatte sie und ihre Familie der Onkel, der im Westteil Berlins lebte und nach den Ereignissen der Nacht schon auf die Verwandtschaft gewartet hatte. Am Morgen des 10. November 1989 ist Doreen Jacobi zunächst mit der Tram zur Schule gefahren – wo sie allerdings niemanden vorfand. Dann erst ging es in den Westen. Ebenso wenig wie die Schnecken hat sie allerdings die Stippvisite ins KaDeWe vertragen. „Das habe ich gar nicht verkraftet, diesen Mega-Überfluss“, erinnert sich die heute 35-jährige Jacobi. „Niemand kann doch all’ das essen, habe ich nur gedacht.“

Der Mauerfall bedeutete für die damalige Zehntklässlerin der EOS 4 – heute Helmholtz-Gymnasium – vor allem eines: „Jetzt kann ich studieren, was ich will.“ In DDR sollte Jacobi am besten Lehrerin für Russisch und Englisch werden, sie allerdings wollte Dolmetscherin sein oder Medizinerin. Plötzlich war der Weg zum Wunschberuf nicht mehr verbaut: Mit ihrem Abitur in der Tasche bewarb sie sich später tatsächlich um einen Medizin-Studienplatz. Da hatte sie allerdings die ersten Erfahrungen in einem ihrer heutigen zwei Berufe schon hinter sich: Nur ein Jahr nach der Wende wurde Doreen Jacobi in der Schule für die TV-Serie „Unser Lehrer Dr. Specht“ entdeckt – der Anfang einer Schauspiel-Karriere, die bis heute andauert.

Im richtigen Leben machte Doreen Jacobi im Wende-Herbst allerdings eine für sie ernüchternde Schul-Erfahrung. Der Direktor ihrer Schule sollte nach dem Mauerfall aufgrund seiner Vita abgelöst werden – womit die meisten Schüler nicht einverstanden gewesen seien: „Er war ein sensationeller Direktor, er kannte jeden Schüler persönlich.“ Bei einer Wahl habe sich eine große Mehrheit für den Verbleib des Direktors ausgesprochen – doch auf das Votum der Schülerschaft wurde nicht gehört. „Das habe ich nicht verstanden: Erst hat man uns in der neuen Freiheit die Wahl gelassen, um sie dann wieder wegzunehmen.“ SCH

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