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Die Germanistin Ulrike Demske erforscht die Grammatik des Saarländischen

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Im Saarland hat man ein Buch nicht gelesen, sondern gelest. Zur Vorlesung ist man nicht gekommen, sondern komm. Und den Schlüssel hat man nicht gefunden, sondern funn. Falsches Deutsch? Mitnichten. Die Germanistin Ulrike Demske, seit Herbst 2011 Professorin für Geschichte und Variation der deutschen Sprache an der Universität Potsdam, befasst sich seit mehreren Jahren mit der Grammatik der saarländischen Mundart.

Wie andere Dialekte auch unterliegt das Saarländische festen Regeln, die sich allerdings zum Teil von der Hochsprache unterscheiden – wie bei den eingangs genannten Beispielen. Solchen Eigenheiten ist Ulrike Demske auf der Spur und sucht nach einer Erklärung dafür. Beim Saarländischen etwa könnte das benachbarte Französische einen Einfluss haben. Das zeigt sich zumindest in Ausdrücken wie „Ich habe kalt“, die analog zu französischen Formulierungen gebildet sind.

„Einerseits sind in Dialekten alte Formen bewahrt, andererseits ist die gesprochene Sprache auch sehr progressiv“, sagt Ulrike Demske. So könne es etwa gut sein, dass in 100 Jahren die Form „gelest“, die sich heute für die meisten Menschen außerhalb des Saarlandes falsch anhört, allgemein als richtig gilt. Das Verb würde damit einem Weg folgen, den Wortneubildungen im Deutschen längst eingeschlagen sind: Neue Verben wie „emailen“ oder „lasern“ bilden das Partizip für die Vergangenheitsform regelmäßig mit „-t“, erklärt die Germanistin. Man sagt also: „Ich habe geemailt“ – und nicht „geemailen“.

Solche Veränderungsprozesse stellen die Sprachwissenschaftler immer wieder fest. Ulrike Demske nennt als eines der bekanntesten Beispiele den Wandel der Vergangenheitsform des Verbs backen: Hieß es früher noch „buk“, gilt heute „backte“ als richtig.

Die Idee zur Auseinandersetzung mit dem Saarländischen entwickelte die Germanistin gemeinsam mit Studenten während ihrer Zeit an der Universität in Saarbrücken, wo sie von 2002 bis 2011 arbeitete. „Für mich ist das ein Weg, um Studenten für Grammatik zu interessieren“, sagt Demske: „Sie haben plötzlich das Gefühl, es geht um ihre Sprache, für Hausarbeiten machen sie empirische Umfragen in ihren Heimatgemeinden.“

Dass die Untersuchung aber auch außerhalb der Universität großen Anklang fand, überraschte die Wissenschaftlerin zunächst: Einen ersten Online-Fragebogen hätten innerhalb von wenigen Tagen rund 5 000 Teilnehmer ausgefüllt, bei einem erneuten Aufruf meldeten sich weitere 3 000. Die Projektmitarbeiter organisierten später auch Vorträge im Rathaus Saarbrücken oder ein Sprach-Quiz. „Die Saarländer sind sehr sprachbewusst und pflegen ihren Dialekt“, meint Ulrike Demske, die selbst aus Heilbronn in Baden-Württemberg kommt. Mit gut einer Million Einwohner zählt das Saarland bekanntlich zu den kleinsten Bundesländern.

Noch in diesem Jahr soll das Projekt, das 2005 startete und das Demske gemeinsam mit dem Doktoranden Christian Ramelli von der Saarbrückener Uni koordiniert, abgeschlossen werden. Ergebnisse wollen die beiden auf dem Jahrestreffen der Internationalen Gesellschaft für Dialektologie Mitte September in Kiel vorstellen.

Auch wenn die Dialektologie kein neues Fachgebiet ist, gebe es zu den grammatischen Strukturen bislang nur wenige Arbeiten, sagt Ulrike Demske. Ganz anders als beim Wortschatz: „Der Wortschatz ist sehr gut erforscht, es gibt gute Wortsammlungen und Wörterbücher.“ Einen ähnlichen Ansatz wie Demske verfolgt in Potsdam bereits seit Längerem erfolgreich ihre Fachkollegin Heike Wiese anhand des sogenannten „Kiezdeutsch“. Wiese untersucht dabei sprachliche Eigenheiten im Jugendslang in Stadtvierteln mit hohem Ausländeranteil – wie etwa Berlin Kreuzberg (PNN berichteten).

Nach dem Saarländischen will sich Ulrike Demske mit ihren Potsdamer Studenten regionalen Mundarten in Brandenburg oder Berlin widmen. „Noch sind mir hier keine grammatischen Besonderheiten aufgefallen“, sagt die Professorin. Das könne daran liegen, dass der Anteil von Studierenden aus anderen Bundesländern in Potsdam höher sei als im Saarland. Andererseits seien Dialekte in Zeiten immer größerer Mobilität aber auch generell auf dem Rückzug. „Im Norden sind sie schneller verschwunden als im Süden – zum Beispiel in Bayern“, weiß Ulrike Demske. Jana Haase

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