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Das Wasser kommt. Allein im 20. Jahrhundert ist der Meeresspiegel bereits um rund 17 Zentimeter weltweit angestiegen.

© Reuters

UN-Klimakonferenz in Warschau: Schneller als erwartet

Für die Klimaforscher drängt die Zeit. Ohne strikte Klimaschutzmaßnahmen treten wir nach ihrer Ansicht in diesem Jahrhundert in eine klimatische Welt, wie sie sie Menschheit bisher noch nicht kannte. Mit all ihren Risiken.

Stand:

Der kürzlich vorgestellte neue Teil des Weltklimaberichts zeige nachdrücklich, dass die Klimaentwicklung unterschätzt worden ist, so Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Der Weltklimarat (IPCC) hatte in seinem jüngsten Bericht vor dramatischen Folgen durch die Erderwärmung gewarnt. Zum Anstieg des Meeresspiegels und zur Stabilität der polaren Eisschilde war der Report pessimistischer ausgefallen als der vorherige Bericht. Auch PIK-Forscher Rahmstorf räumt ein, den Meeresspiegelanstieg eher unterschätzt zu haben.

Im Vorfeld des Treffens der UN-Klimakonferenz COP19 vom 11. bis 23. November in Warschau haben Potsdamer Klimaforscher ihre Sicht noch einmal zusammengefasst. Dem eher gebremsten Voranschreiten der globalen Erwärmung, das seit 1998 zu beobachten ist, messen sie keine Bedeutung für den weiteren Temperaturanstieg zu. Vermutlich sei die verlangsamte Erwärmung durch eine verstärkte Wärmeaufnahme tieferer Meeresschichten zu erklären. Andere Forscher sehen einen Zusammenhang mit veränderten Luftdruckverhältnissen zwischen Islandtief und Azorenhoch – und spekulieren darüber, ob die Erwärmung bis 2027 weiter stagnieren könnte. Betrachtet man allerdings die Kurve der globalen Mitteltemperatur seit dem 19. Jahrhundert, scheint die aktuelle Erwärmungspause tatsächlich nur eine Stufe auf einer Treppe, die seit der Industrialisierung steil nach oben führt. Die letzten 30 Jahre waren wahrscheinlich die wärmsten seit mindestens 1400 Jahren, so die IPCC-Forscher.

Die IPCC-Forscher gehen mittlerweile davon aus, dass die Menschheit womöglich sogar zu 100 Prozent für die Erwärmung der Erdoberfläche seit 1950 verantwortlich ist. Denn natürliche Einflüsse, etwa der Sonneneinstrahlung, würden eher eine Abkühlung erwarten lassen. Der Anstieg des Meersspiegels hat sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts beschleunigt. „Dieser Anstieg wird sich auch unabhängig von der Emission an Treibhausgasen beschleunigen, da die Ozeane sehr träge auf Veränderungen reagieren“, erklärte Rahmstorf. „Man kann den Anstieg nicht mehr rasch stoppen.“ Die Meeresoberfläche beginne sehr langsam zu steigen, der Anstieg setze sich dann aber über viele Jahrhunderte fort. Langfristig könnte die Entwicklung durch Klimaschutz allerdings stark begrenzt werden. Mit entsprechenden Maßnahmen steigt das Wasser dem IPCC zufolge bis Ende des Jahrhunderts um rund 60 Zentimeter, ohne Klimaschutz könnte es über ein Meter sein.

Eine weitere Erkenntnis des IPCC betrifft den Eisschild Grönlands. Er ist instabiler als bislang gedacht. Ein Totalverlust des grönländischen Eisschildes droht demnach bereits bei einer Erwärmung zwischen einem und vier Grad. Das heißt, dass bereits unterhalb des von der Politik angestrebten Zwei-Grad-Ziels (Erwärmung seit der Industrialisierung) gravierende Folgen zu befürchten sind. Und dieses Ziel ist nicht gerade in greifbarer Nähe. „Für das Zwei-Grad-Ziel müsste man die Emissionen sehr drastisch reduzieren, weil schon viel zu lange gewartet wurde“, so die Einschätzung von Rahmstorf. „Wenn wir nun noch einmal zehn Jahre warten, dürfte es nahezu unmöglich sein, das Ziel zu halten.“

Neue Daten bestätigen, dass die aktuelle globale Erwärmung einen langfristigen Abkühlungstrend umgebogen hat. In den vergangenen 100 Jahren wurde die – natürliche – Abkühlung der vorangegangenen 5000 Jahre wieder wettgemacht. Das Fazit der Forscher: Die Menschheit ist dabei, sich sehr weit aus den durchschnittlichen Temperaturrahmen des Holozäns hinauszukatapultieren. Das Holozän ist der jüngste Zeitabschnitt der Erdgeschichte, der vor knapp 12 000 Jahren begann. „Selbst wenn wir das Zwei-Grad-Ziel einhalten, werden wir uns weit aus dem Erfahrungsbereich des Klimas der letzten 10 000 Jahre hinausbewegen“, meint Rahmstorf.

Eine Folge davon ist unter anderem auch eine starke Zunahmen an Hitzerekorden, wie sie in den vergangenen Jahren zu beobachten war. Die Zahl der Wärmerekorde ist laut einer PIK-Studie heute um das Fünffache erhöht. Die heißesten Sommer in Europa seit dem Jahr 1500 fielen demnach alle in das vergangene Jahrzehnt: angefangen mit den Jahren 2002 über den Hitzesommer 2003 mit bis zu 70 000 Hitzetoten in Mitteleuropa, die Jahre 2006 und 2007, bis zum heißesten Sommer 2010, der in Russland eine Rekorddürre und Steppenbrände brachte. Auch die Südhalbkugel ist von den Extremen betroffen: 2009 brütet beispielsweise Südaustralien unter einer Rekordhitze mit den schlimmsten Waldbränden in der Geschichte des Landes.

Angesichts dieser weltweiten Herausforderungen wäre ein internationaler Vertrag zum Klimaschutz also überfällig. Die globalen Bemühungen um ein Klimaabkommen sieht der Chefökonom des PIK, Ottmar Edenhofer, allerdings in einer Sackgasse. Seit dem Kyoto-Protokoll von 1997 ist man hier nicht weiter vorangekommen. In den nächsten Jahren erwartet Edenhofer dann auch keine länderübergreifende Einigung. Stattdessen arbeitet er an einem eigenen Vorschlag, der auf Ebene der einzelnen Nationalstaaten individuelle Entwicklungen hervorrufen könnte. Edenhofer schlägt eine Art Steuer vor, deren Einnahmen zweckgebunden für Infrastrukturmaßnahmen der einzelnen Länder genutzt werden sollte. „Das wäre ein Einstieg, um den Ländern die Angst vor einer CO2-Besteuerung zu nehmen“, so Edenhofer.

Ihm geht es nicht darum, den Emissionshandel – also ein globalen Preis für das klimaschädliche Kohlendioxid – aufzugeben. Vielmehr schwebt ihm vor, diesen Handel so auszugestalten, dass er wirke wie eine Steuer. Von einer solchen CO2-Steuer verspricht sich der Klimaökonom so hohe Einnahmen, dass damit nicht nur die Gewinneinbußen der Besitzer fossiler Energieressourcen kompensiert werden könnten, sondern eben auch zukunftsgerichtete Investitionen in den einzelnen Ländern möglich würden. „Eine solche Steuerquelle hätte ein hohes Potenzial“, meint Edenhofer. Das sei gerade auch für Schwellenländer wichtig, die wie in Afrika, zum einen am stärksten von den Folgen des Klimawandels betroffen sein werden, zum anderen aber darauf beharren, neu erschlossene fossile Energiequellen auf ihrem Boden auch wirtschaftlich zu nutzen.

Letztlich bleibt Edenhofer strikt bei seiner schon mehrfach getroffenen Aussage, dass ohne die Kombination von Biomasse und CCS – Abscheidung und unterirdische Einlagerung von CO2 – das Zwei-Grad-Ziel nicht zu halten ist. Hier dürfe es keine Denkverbote geben, sagte der Ökonom. Die Forschung müsse CCS weiter auf seine Machbarkeit testen. Denn nur über die Umwandlung von Biomasse in Kohlenstoff – Aufforstung mit Energiepflanzen, ihre energetische Verwertung und dann Einlagerung des abgeschiedenen Kohlenstoffes – lasse sich in den kommenden Jahrzehnten der CO2-Gehalt in der Atmosphäre aktiv verringern.

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