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Sein Gesicht kennt oft nicht einmal das Filmteam. Der Babelsberger Jörg Hauschild ist Filmschnittmeister, unter anderem für Andreas Dresen. Im oft stundenlangem Material sucht er die perfekten Momente und komponiert den fertigen Film. Drei Monate arbeitet er an einem Film wie Whisky mit Wodka.

© Manfred Thomas

Von Jana Haase: Schnitt für Schnitt

Cutter Jörg Hauschild sucht perfekte Filmmomente und träumt von einer Musikkarriere

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Der Weg zum Film beginnt im Kultursaal einer Kaserne in Seelow. Es sind die 1980er Jahre, die Armee-Band namens „Regiments-Combo“ gibt Schlager wie „1000 Mal berührt“ oder „Rosamunde“ – und Jörg Hauschild aus Gera steht mit auf der Bühne, spielt die Gitarre, zum ersten Mal vor richtigem Publikum. Gitarrenunterricht hat er zwar schon als Achtjähriger genommen, aber auf der Bühne mit der Band ist plötzlich etwas anders. So anders, dass Hauschild einen Entschluss fasst. Das geplante Physikstudium in Karl-Marx-Stadt wird er nicht antreten. Stattdessen will er die Musik zu seinem Beruf machen. „Das hätte ich mich vorher nicht getraut“, sagt Jörg Hauschild.

Dass er je in einer Uniform gesteckt hat, kann man sich nicht vorstellen, wenn man den schmalen 42-Jährigen heute in Jeans und T-Shirt sieht. Zum Musiker ist er allerdings auch nicht geworden. Aber die Pläne dafür hat der Wahl-Babelsberger, der sein Brot als selbstständiger Filmschnittmeister verdient und zuletzt Andreas Dresens Tragikomödie „Whisky mit Wodka“ schnitt, noch nicht aus den Augen verloren.

Seine Entscheidung gegen die Physik führte ihn im Wendeherbst 1989 zunächst zum Ton-Studium an die Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ (HFF) nach Babelsberg. Die Schulgebäude lagen damals noch im Grenzgebiet am Griebnitzsee, erinnert sich Hauschild: „Vom Mauerfall am 9. November habe ich aber erst am Morgen darauf gehört.“ Beim ersten Ausflug nach West-Berlin kaufte er sich auf der Sonnenallee ein Gitarrenstimmgerät.

Noch im ersten Studienjahr lernte er auch Andreas Dresen kennen, damals Student wie er. Bereits für dessen Diplomfilm „Stilles Land“ war Hauschild Tonmeister und gehört seitdem als Cutter zum Dresen-Team. „Die Arbeit mit ihm ist ein Luxus und ein unheimliches Vergnügen“, sagt Jörg Hauschild. Auch für Fernsehproduktionen wird er gebucht: Als Cutter für den „Tatort“, für Reisereportagen oder Dokumentationen über Häftlinge in Sibirien oder die Geschichte des Ostrocks.

Die digitale Schneidetechnik war noch neu, als Hauschild 1993 mit zwei Kommilitonen ein Schnittbüro gründete und damit eine bei Fernsehsendern nachgefragte Lücke füllte. Auch wenn er wieder aus dem Gemeinschaftsbüro ausgestiegen ist, funktioniere das HFF-Netzwerk weiter. „Es ist nie so, dass sich die Drehbücher bei mir stapeln“, sagt Jörg Hauschild: „Aber es kommt immer was.“

Manchmal ist auch Zeit für ein „anarchisches Projekt“ wie die Hitchcock-Satire „Hitsch“ vor vier Jahren. Der Film über ein neu aufgetauchtes Drehbuch des Grusel-Regisseurs schaffte es nie in die Kinos – den Dreh mit Tatort-Darsteller Tilo Prückner, der dafür hinter der Kamera stand, hat Hauschild trotzdem in besonders guter Erinnerung. Schließlich saß er nicht am Schneidetisch, sondern schrieb die Musik. „Da konnte ich mich ausprobieren“, sagt er.

Dagegen ist der Alltag als Cutter vergleichsweise einsam. Neun Stunden am Tag sitzt Hauschild vor dem Bildschirm, drei Monate dauert der Schnitt eines abendfüllenden Spielfilms. Minute für Minute arbeitet er sich durch das Material, das etwa zwölfmal so lang ist wie der spätere Film. Denn von jeder Szene gibt es mehrere Einstellungen: Großaufnahme oder Totale, Schuss und Gegenschuss. Auf einer Checkliste vermerkt Hauschild seine Eindrücke: „Manchmal ist es nur ein Wort oder eine Geste, die besonders gut ist.“ Aus möglichst vielen dieser perfekten Momente will er „eine sinnvolle Montage machen“.

Damit komponiert Jörg Hauschild nicht nur den fertigen Film, sondern ist auch dessen erster Zuschauer. Deshalb wird er manchmal auch vom Regisseur nach seiner Meinung zu einzelnen Szenen gefragt. Auf dem Filmset ist er jedoch seltener zu Gast. Bei Bergfesten oder Abschlussfeiern passiere es ihm immer wieder, dass er von Schauspielern, die er täglich auf dem Bildschirm sieht, nicht erkannt wird.

Eine absolute Ausnahme also, dass er bei „Whisky mit Wodka“ sogar vor der Kamera stand: In der Geschichte um die Dreharbeiten mit dem alkoholkranken Schauspieler Otto Kulberg alias Henry Hübchen spielt Hauschild den Freund von Ottos junger Schauspielerkollegin Heike. Seine Rolle sei aber fast komplett dem Schnitt zum Opfer gefallen.

Und die Musik? Erst im Mai stand Hauschild wieder mit der Gitarre auf der Bühne: Gemeinsam mit Andreas Dresen, Schauspieler Axel Prahl und Filmmusiker Jens Quandt spielte er beim Filmkunstfest Schwerin Stücke des ostdeutschen Liedermachers Gerhard Gundermann. Hauschild schwebt nun ein ganzes Gundermann-Bühnenprogramm vor: „Da reden wir eigentlich seit zehn Jahren drüber“, sagt er und überlegt kurz: „Ich werde das irgendwann einfach machen.“

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