SAMSTAGScocktail: Schön langsam
Wenn ich gefragt werde, was ich von meiner Heimatstadt halte, sage ich: Och, ja, das ganze Wasser drum herum ist schon klasse. Im Grunde lebe ich permanent mit dem Rücken zur Stadt und dem Blick aufs Wasser, dem inneren Blick, versteht sich.
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Wenn ich gefragt werde, was ich von meiner Heimatstadt halte, sage ich: Och, ja, das ganze Wasser drum herum ist schon klasse. Im Grunde lebe ich permanent mit dem Rücken zur Stadt und dem Blick aufs Wasser, dem inneren Blick, versteht sich. Ortsfremden empfehle ich nach einem (meist bereits absolvierten) Besuch der Schlösser und Gärten daher häufig eine Fahrt mit dem Dampfer: Die absolute Entsprechung zum Wesen dieser Stadt, deren Bräsigkeitsmodus inzwischen so stark auf mich übergegangen ist, dass mir diese Art der Fortbewegung tatsächlich als die logischste erscheint.
Natürlich ist dies Absicht. Dampfer buhlen nicht um Fortschrittlichkeit. Sie wollten schon bei ihrer Erfindung nicht wirklich schnell sein.
Was das Fahrrad auf der Straße ist, ist der Dampfer auf dem Wasser. Die Geschwindigkeit, mit der die Landschaft an einem Dampfer fahrenden Menschen vorbeigleitet, gleicht der einer durchschnittlichen Kamerafahrt im Kino. Sie lässt einem die Möglichkeit, bei Details zu verweilen und die Freiheit, Unwichtiges zu vernachlässigen. So erlebt ein König die Welt, der seine Ländereien beschaut. Man ergötzt sich, greift aber nicht weiter ein. Das Grundgefühl beim Dampferfahren: leichte Wehmut. Alles scheint ganz nah, entschwebt aber unablässig.
Vor ein paar Jahrzehnten waren Dampfer für mich noch regelrechte Lebenspaten. Nicht nur dass im Kindergarten an meinem Garderobenfach das Schild mit dem Dampfer klebte. Wenn ich damals zu Besuch in Potsdam war, kam mir die Stadt sehr modern vor. Eine Stadt, in der es dermaßen breite Straßen, Springbrunnen, Eiscafés und Dampfer gab, konnte nur eine zukunftsfrohe sein.
Später waren „Charlottenhof“, „Belvedere“ und „Cecilienhof“ eine Zeitlang sogar meine Erzfeinde. Wer schon mal einen Rennrudervierer gesteuert hat, weiß, wovon ich spreche. Manche der Gefährte zogen lautlos an uns vorbei, hinterließen aber gewaltige Wellen. Einmal kenterte ein Zweier an der Wand eines solch vollkommen stillen Ungetüms, das unvermutet aus dem Nebel auftauchte. Oft schweiften meine Gedanken ab zu den beneidenswerten Leuten an Deck, die uns in unserem schmalen, mühselig betriebenen Fahrzeug so lässig überholten.
Aber um richtig von hier wegzukommen, dachte ich damals oft, dazu braucht es ein wirklich schnelles Schnellboot, noch besser eins mit Flügeln.
Unsere Autorin lebt in Potsdam. Zuletzt erschien von ihr der Roman „Selbstporträt mit Bonaparte“.
Julia Schoch
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