zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Schöner Knochenjob Weihnachtsmarkt

Einsatz zwischen Glühwein, Wachschutz und Dauerbeschallung: Arbeiten, wo andere feiern wollen

Stand:

Eberhard Heiek wagt eine Prognose: Kein Schnee bis Heiligabend. Vielleicht, aber nur vielleicht, nach den Feiertagen. Dabei hatte man sich nach zwei harten Wintern gut auf Schneemassen eingestellt, Winterdienst bestellt und Lagerflächen berechnet. Statt dessen gestern Regen und Sturmböen, schon am frühen Nachmittag schließen die meisten Händler.

Die ernüchternde Schneebilanz aus dem Mund des Geschäftsführers der Coex-GmbH, die zwei der Potsdamer Weihnachtsmärkte managed, decken sich mit der Stimmung der Verkäufer und Betreiber, an denen täglich tausende Besucher vorbeiströmen. „Es ist zu warm, da kommt keine weihnachtliche Stimmung auf“, sagt nicht nur die Verkäuferin von Strickwaren, die bei den knackigen Temperaturen vom letzten Jahr wesentlich mehr Umsatz hatte. Und spricht damit vielen Kollegen der 135 Hütten und Fahrgeschäften aus dem Herzen. Dabei hat der milde Winter auch Vorteile: Noch müssen sich Manfred Euen und seine Frau nicht in ihre Ski-Klamotten werfen, sie finden es in der Hütte zwischen all den Schwibbögen und Pyramiden fast noch frühlingshaft. Klar könnte das Geschäft besser gehen, doch als er das sagt, kommt promt eine Frau vorbei und ordert zehn Räucherhäuschen.

Ernsthaft jammern tut keiner, auch wenn der Knochenjob, täglich seit Mitte November draußen zu stehen, inklusive Beschallung und Olfaktorium, Spuren hinterlässt. Klar werde man auch mal krank, aber ein kleiner Schnupfen werfe ihn nicht aus der Bahn, sagt John Probst, dem die Liebe zu dem Fahrenden Geschäft vererbt wurde. Immerhin hat er in dem kleinen Häuschen neben dem Kinderkarussell eine Heizung, ein großes Privileg, das allerdings viel Strom fresse. Nachmittags zwischen 16 und 18 Uhr boomt sein Geschäft, Musik dudelt, Kinder plärren und Eltern dürfen bei den ganz Kleinen schon mal kostenlos mitfahren. Klar könnte er auch was anderes machen, aber „da hängt mein Herz dran“, sagt der junge Mann, der täglich zwischen Güterfelde und Potsdam pendelt.

Wer weiter weg wohnt, muss sich unter Umständen Zimmer oder Ferienwohnung suchen. Ein besinnliches Weihnachtsfest mit der Familie – das haben die wenigsten. Wolfgang Berger wird Weihnachten ganz verschieben. Er kennt das schon, seit 24 Jahren ist er auf dem Markt mit österreichischen Spezialitäten dabei, alles von Haxe bis Knödel. Hinterm Tresen helfen Frau und Tochter. Erst nach dem 27., wenn alles abgebaut und eingelagert ist, gibt’s bei Bergers Gänsebraten. Und trotz manchem Ärger sagt er: „Ich würde damit nie im Leben aufhören“ – und lächelt.

In einer Seitenstraße steht der Toilettenwagen, seit vergangenem Jahr mit dabei. Die Kunden, besonders Mütter mit Kindern, freue das sehr, sagt Helga Lindner. Natürlich müsste sie mit ihren 72 Jahren nicht mehr arbeiten, aber etwas dazu zu verdienen sei doch auch nicht schlecht. „Ist immer alles tipptopp hier“, sagt sie stolz, dick eingemummelt in etliche Jacken. Nein, sie könne nicht meckern, jeden Tag radelt sie vom Kiewitt zum Markt und zurück. Aber wenn das Ordnungsamt an die Lieferwagen der Händler, die an den Boulevard ranfahren, Strafzettel verteilt, das findet sie nicht richtig.

Mit den Ämtern hat vor allem Heiek zu tun. Schon im Januar beginnt er mit der Planung des nächsten Marktes. Über 300 Händler bewerben sich jedes Jahr, davon muss er eine in sich stimmige Auswahl treffen. Und wenn alle Büdchen verteilt sind, jammern die Einzelhändler, denen die Hütten zu dicht vor der eigenen Tür stehen. 50 Prozent Umsatzeinbuße habe sie im Dezember, klagt die Inhaberin einer Modeboutique. Aber die Holzhäuschen Rücken an Rücken in die Mitte der Brandenburger zu stellen, dafür ist die Straße zu eng. „Der Rettungsweg für die Feuerwehr muss frei bleiben“, sagt Heiek. Die Feuerwehr hat auch ein Wörtchen mitzureden, wo eine Hütte steht und wo nicht: An bestimmten Stellen müsse jederzeit „angeleitert“ werden können, Hydranten müssen frei bleiben, alles Dinge, die der normale Marktbesucher nicht reflektiert, sagt der Manager. Vier Leute kümmern sich täglich um technische Belange des Marktes, die Müllentsorgung muss klappen, und dann hat Heiek noch zivile Wachschutz-Leute im Einsatz: „Ist dieses Jahr auch noch nichts Dramatisches passiert, nur ein paar kleine Sachbeschädigungen und zwei Anwohnerbeschwerden wegen zu lauter Musik auf dem Luisenplatz, aber das kriegen wir auch geregelt“, ist er zuversichtlich.

Glühweinverkäufer Daniel Sander kommt gut mit den etwas spezielleren Kunden zurecht, die trotz Schließzeit betteln, noch ein halbes Stündchen bleiben zu dürfen. Der Sportstudent aus Potsdam trägt ein lustiges Weihnachtsmannmützchen und trinkt, umgeben von einer würzigen Glühweinwolke – heißen Kaffee. Die ewige Weihnachtsmusikbeschallung nehme er schon nicht mehr wahr. Dagegen findet der neunjährige Anton Kubitza aus Babelsberg das alles noch sehr aufregend. Nach der Schule hilft er manchmal seiner Mutter, die Lampen verkauft. „Ich verpacke alles in Tüten und rechne auch ab“, sagt er selbstbewusst, dafür teilt seine Mutter sich mit ihm die Provision.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })