
© Manfred Thomas
Landeshauptstadt: Schuhe zum Waldbrände austreten
Im Jeansladen „Kersting & Henschel“ am Bassinplatz finden Männer noch Sachen, die halten
Stand:
Torsten Kersting nimmt eine Jeans vom Kleiderständer und bittet um Aufmerksamkeit. „Einmal anfassen“, fordert er. Die Hose ist schwer, der Stoff fest. Hier könnte Motoröl abperlen.
„Das sind unverwüstliche Arbeitshosen und keine hippen Designerjeans, die nach einem Jahr durchgescheuert sind“, sagt Kersting. Er und Stephan Henschel sind seit November Inhaber eines kleinen, aber sehr besonderen Jeans-Ladens im Holländischen Viertel, direkt am Bassinplatz. Es laufe sehr gut, sagen sie heute.
Als für die Ladenräume, eine alte Sämerei, nach der Sanierung ein Nachmieter gesucht wurde, griffen sie sofort zu. Ein Glücksfall, denn eine Miete in der Brandenburger Straße hätten sie sich nicht leisten können. „Wir haben die Räume in der Bauphase gesehen und dem Vermieter gesagt, er soll alles so lassen, wir haben auch die alten Möbel übernommen“, sagt Stephan Henschel. Entstanden ist ein mit dem Denkmalschutz abgestimmter Verkaufsraum, in dem irgendwie die Zeit stehen geblieben ist: verwaiste Kaminecken und dunkelbraune Dielen, Holzregale, die noch nie woanders standen, mittendrin eine alte Werkbank, die sie dazugekauft haben. Liebevoll ergänzt mit Details wie passenden Beschlägen und originalen Türgriffen. Stephan Henschel zeigt auf den Deckenstuck, der an einer Stelle die Sicht auf 300 Jahre alte Malerei freigibt. Das Denkmalamt hat schon wichtig aussehende Aufkleber angebracht. Ebenfalls vom Vorbesitzer übernommen: ein Christus-Bild-Motiv ungeklärten Datums, das 1945 selbst die Russen beeindruckte und den Ladenbesitzer vor Plünderung bewahrte. „Das bringt hoffentlich auch uns Glück“, sagt Torsten Kersting, „das lassen wir hängen“.
In diesem ehrfurchtsgebietenden Interior gibt es nun alles für ganze Kerle. Und damit niemand an dem kleinen Lädchen in der unscheinbaren Straße vorbeiläuft, vor allem solange der Nachbar noch das Baugerüst vor dem Haus hat, haben sie als Blickfang ein echtes Motorrad ins Schaufenster gestellt. „Eine BMW R35 von 1953, absolut fahrbereit“, sagt Kersting. Mit Motorradfahren hat das „High Quality Denim Store“ im weitesten Sinne auch zu tun: Ihre Hosen taugen zum Schrauben genauso wie zum Fahren, „die Flattern nicht im Wind wie dünne Fähnchen“, sagt Kersting aus Erfahrung.
Wer so eine Jeans, die nur mit amerikanischer Gewichtsangabe Unze pro Square Yard über den Ladentisch geht, kaufen will, muss schon mit einem dreistelligen Eurobetrag rechnen. Dafür versprechen die Unternehmer beste, langlebige Qualität – und unterweisen gern in der Historie der blauen Hosen.
Sie verkaufen Jeans, die es sonst in Deutschland nur in einer Handvoll Läden gibt, Marken, deren Namen exotisch im Ohr klingeln: Momotaro und Indigo Fera, Iron Heart, The Flat Head, Eat Dust und Pike Brothers. Die meisten Beinkleider beziehen sie kurioserweise aus Japan, wo sie mit viel Handarbeit hergestellt werden, die dort noch etwas kostet. Der Herstellungsprozess sei das absolute Gegenteil der Massenproduktion in China, wo mittlerweile fast alle gängigen Markenjeans herkommen, erklären sie. In den USA lasse kaum noch jemand aus dem Gefolge der Strauss & Co. Familie produzieren. Vermutlich seien viele originale Webstühle und Nähmaschinen im Laufe der Zeit in Japan gelandet. Das Ergebnis dieses Vintage-Produktionsprozesses sind Hosen mit echten, bunten Webkanten an der Innennaht – früher die Erkennungszeichen der einzelnen Webereien – und mit Kettenstich, den keine moderne Nähmaschine mehr kann. Manche Hosen sind statt mit synthetischem mit natürlichem Indigo eingefärbt, manche etwas rauer, manche etwas fester. Sie halten etwas aus und haben Chic, so die Verkäufer.
Obenrum darf es der Mann, der hier einkauft, gern etwas kuscheliger haben: Außer Hosen gibt es weiße Arbeiterunterhemden in allen Schnittmustern aus kleinen braunen Kartons, Shirts und Jacken, ausgefallene Accessoires und Schuhe, mit denen man wohl kanadische Waldbrände austreten könnte. Außerdem eine Auswahl witziger Motorradhelme. Hin und wieder verschlage es ältere Herren in den Laden, die voller Erinnerungen über die Sachen streichen und an den Labels hängen bleiben. „Die kennen das alles von früher her und sind dann glücklich“, sagt Torsten Kersting. Doch die Unternehmer wollen ihren Kundenkreis nicht auf Veteranen und junge Leute aus der Motorrad- oder Rockabilly-Szene eingeschränkt sehen: Ihre Mode sei für jeden tragbar. Viele Kunden finden sie übers Internet und kommen von weither. Auch daran haben sie gedacht. Dann wird erst mal ein Kaltgetränk gezischt, ein roter Kühlschrank lädt ein zur Selbstbedienung. Und nach Geschäftsabschluss gibt es in der Sitzecke – zwei bequeme Ledersessel – einen edlen Whisky.
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