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Landeshauptstadt: Schüler: „Bürger werden verarscht“

Weiter Kritik am Verfahren / Statt einer starten am Montag zwei Bürgerbefragungen zum Landtagsneubau

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Die Bürgerbefragung zum Landtagsneubau spaltet die Meinungen wie das Aussehen des geplanten Neubaus selbst. Während die Stadtspitze um Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) sowie die Fraktionsvorsitzenden von SPD, Linkspartei.PDS und CDU die Bedenken der Verwaltungsrichter für nicht angebracht halten, rät der Direktor des Kommunalwissenschaftlichen Instituts der Universität Potsdam, Prof. Dr. Michael Nierhaus, zu einer Absage der Bürgerbefragung durch die Stadt. „In einem Rechtsstaat sollte man sich an deutliche Hinweise des Gerichts halten“, sagte er auf Anfrage.

Das Verwaltungsgericht Potsdam hatte am Donnerstag zwar gegen den Antrag des Potsdamers Mario Schenk, die Bürgerbefragung zu stoppen, entschieden. Jedoch gaben sie in der Beschlussbegründung zu bedenken, dass die Befragung aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zulässig sei, da sie „zwar rechtlich unverbindlich, in einer Demokratie aber aus politisch-moralischen Gründen eine faktische Verbindlichkeit entfaltet“. Im Land Brandenburg ist eine Bürgerbefragung nicht in der Gemeindeordnung geregelt. Sollte bei wichtigen Planungen und Vorhaben jedoch „ein besonderes Bedürfnis“ der Information zu Zwecken, Zielen und Auswirkungen geben, „soll den Einwohnern Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden“ (Gemeindeordnung Paragraf 16 Absatz 2). Gesetzlich geregelt ist die Bürgerbefragung bislang nur in den Bundesländern Niedersachsen und Saarland.

Gegen die Bürgerbefragung vorgehen könnte nach dem Gerichtsbeschluss nun laut Nierhaus entweder ein Stadtverordneter oder die Kommunalaufsicht des Innenministeriums. „Wenn ein Stadtverordneter einen Eilantrag stellen würde, wäre die Befragung in wenigen Stunden untersagt.“ Die Kommunalaufsicht sei zum Einschreiten nicht verpflichtet – dies liege im „Ermessen“ der Behörde. Nierhaus schloss nicht aus, dass das Potsdamer Vorgehen Signalwirkung haben könnte. „Gemeindevertretungen könnten politisch heikle Entscheidungen verstärkt an die Bürger weitergeben.“ Sollte dies „Schule machen, wäre das fatal.“

Hans-Jürgen Scharfenberg (PDS) verteidigte die von seiner Partei seit einem Jahrzehnt geforderte Befragung aller Potsdamer. Gefragt werden die Potsdamer ab Montag nach ihrem Wunschstandort für den Landtagsneubau: Auf dem Grundstück des früheren Stadtschlosses, auf dem Areal des Palastes Barberini, in der Speicherstadt oder ein eigener Vorschlag können angekreuzt werden.

„Dabei werden die Bürger verarscht“, sagte Rechtsanwalt Peter Schüler von den Bündnisgrünen. „Was gefragt wird, geht am eigentlichen Problem vorbei. Unter dem Mäntelchen der Bürgerbeteiligung werden Alternativen suggeriert, die nicht zur Verfügung stehen“, sagte Schüler. Er wolle jedoch nicht gegen die Befragung klagen: „Politische Differenzen werde ich nicht juristisch ausstreiten.“

Auch Prof. Michael Nierhaus sieht „ein Geschmäckle“ bei der Befragung. Sie sei unter diesen Umständen „ein schwerer Schlag für die direkte Demokratie auf kommunaler Ebene.“ Vor allem jüngere Potsdamer würden das Vorgehen der Politik wohl nicht akzeptieren. „Sie könnten es als Flucht aus der Verantwortung werten.“ Gegner des Landtagsneubaus auf dem Schloss-Grundriss müssten sich wegen der Fragestellung „betrogen“ fühlen.

Scharfenberg bezeichnete gestern jeden der abgefragten Standorte als „prinzipiell geeignet für einen Landtagsneubau“. Er sagte, „wer die Standorte als ,keine Alternative“ bezeichnet, setzt sich dem Vorwurf aus, die Sache zugunsten des Stadtschlossgrundstücks beeinflussen zu wollen“. Scharfenberg bedauerte jedoch gestern, dass es zu keiner parteiübergreifenden Einigung über die Fragestellung gekommen sei.

Als Ergebnis wird nun die Fraktion Die Andere eine eigene Bürgerbefragung starten. Diese soll ebenfalls am Montag mit einer Postwurfsendung ihrer Fragen in alle Potsdamer Haushalte starten. Die Fraktion fragt jedoch nicht wie die Stadt nach gewünschten Standorten, sondern nach dem künftigen Aussehen des neuen Landtags auf dem Grundstück des Stadtschlosses. „Der Landtag hat entschieden, wo gebaut wird“, sagte Ute Grimm. Die Fraktionsvorsitzende von Die Andere erklärte: Ihre Fraktion wolle das eigentliche Problem klären, wegen dem der Bebauungsplan zweimal von den Stadtverordneten abgelehnt wurde. Während Oberbürgermeister Jakobs das Vorgehen der dreiköpfigen Fraktion als „nicht akzeptabel“ und „unzulässig“ bezeichnete, sah Scharfenberg auch Vorzüge in dem Vorstoß. Die Fraktion lehne die Befragung nicht ab, sie rufe in ihrem Bogen sogar zur Beteiligung an der städtischen Befragung auf. CDU-Fraktionschef Steeven Bretz bezeichnete die Aktion dagegen als „Frechheit“. Auch der SPD-Fraktionschef Mike Schubert verurteilte das Vorgehen der Fraktion Die Andere und bezeichnet sie indirekt als Parasit. Es sei ein „sonderbarer Umgang“ sich „einen Wirt zu suchen, der die Fragebögen zurück trägt“. jab/SCH

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