Landeshauptstadt: Schwalbennest auf der Gardinenstange
40 Potsdamer beteiligten sich an der "Stunde der Gartenvögel" und zählten rund 1000 Vögel
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„Hören sie mal!“, sagt Manfred Miethke plötzlich und hält inne. Die kleine Gruppe verstummt, von einem nahe stehenden Baum ist ein kurzes, hohes Pfeifen zu hören. "Ein Pirol", sagt der Vogelkundler vom Potsdamer Bezirksverband des Naturschutzbundes NABU zufrieden. "Leider ist er sehr schwer zu sehen, da er sich gerne oben in Baumwipfeln aufhält, wo er sehr kunstvolle Nester baut."
Es ist gleich die erste Vogelbeobachtung, welche die fünf mit Feldstechern ausgerüsteten Potsdamer am Sonntag bei ihrer Erkundungstour über den Telegrafenberg machten. Gleichzeitig beobachteten und zählten etliche Potsdamer und Tierfreunde in ganz Deutschland Vögel in Gärten und Parks und meldeten ihre Ergebnisse an den NABU, denn vom 9. bis 12. Mai fand wieder die „Stunde der Gartenvögel“ statt. Die bundesweite Zähl-Aktion dient der Erfassung des Artenreichtums, über den der NABU Rückschlüsse auf die Entwicklung verschiedener Vogelarten ziehen kann.
Aus diesem Anlass will auch Miethke Interessierten die Vogelwelt der Landeshauptstadt näher bringen. Im Wald auf dem Telegrafenberg ertönt immer wieder lautes Stakkato-Klopfen, etliche Bäume weisen kreisrunde Löcher auf – ein unverkennbares Specht-Gebiet. Miethke zeigt auf den Stamm einer Rotbuche: „Spechte klopfen ihre Höhlen besonders gerne unter den ’Chinesen-Bärten’.“ So nennen Vogelkundler die halbkreisförmigen Streifen auf der Buchenrinde, unter denen sich kleine Wölbungen befinden. „Das Gute an Spechten ist, dass ihre Höhlen immer Nachnutzer haben, zum Beispiel Meisen oder Siebenschläfer“, sagt der 77-jährige Ornithologe.
Bis zum Sonntagnachmittag hatten 40 Potsdamer 927 Vögel gezählt. Insgesamt 57 Arten waren dabei registriert worden, Spitzenreiter waren Haussperling, Amsel und Kohlmeise. Bundesweit beteiligten sich über 17 000 Menschen an der Aktion, bei der über 456 000 Vögel gezählt wurden. "Im Vorfeld war viel spekuliert worden, ob das Usutu-Virus die Amseln weiter dezimiert oder ob der lange Winter Kleinvögeln wie dem Zaunkönig geschadet hat", heißt es in einer vorläufigen Auswertung des NABU. Doch die Befürchtungen hätten sich nicht bestätigt, die Amselbestände seien stabil geblieben, der Zaunkönig habe sogar etwas zugelegt. Der Kernbeißer trat sogar siebenmal so oft auf wie 2012 - zusammen mit anderen Zugvögeln hat er seinen Winterurlaub laut NABU bis in den Mai verlängert. In Potsdam wurden im Vergleich zum Vorjahr rund 30 Prozent mehr Amseln gesichtet, insgesamt ist die Landeshauptstadt für Vögel ein relativ guter Lebensraum: "Die Stadt hat viele Vorteile, zum Beispiel das warme Mikroklima im Winter und viele Fressmöglichkeiten", sagt Miethke. Doch der Vogelkundler berichtet auch von negativen Tendenzen in den letzten Jahren: "Die Situation der Rauchschwalben ist ein Drama - die haben einfach keine Stellen zum Brüten." Eine Exkursionsteilnehmerin berichtet sogar, dass eine Schwalbe einmal ihr Schlafzimmer erkundet hatte und ein Nest auf der Gardinenstange bauen wollte: "Das ging natürlich nicht, also haben wir das Fenster längere Zeit geschlossen." Auch den Dohlen, die gerne in alten Schornsteinen nisten, fehlt es an Lebensräumen. Nach Miethkes Schätzung gibt es nur noch zwei Brutpaare in Potsdam: "Wir haben es verschlafen, rechtzeitig für Nistkästen zu sorgen."
Erfreulich sei hingegen, dass sich in den letzten Jahren immer mehr Greifvögel wie Fischadler sogar im Stadtgebiet ansiedeln: "Die haben ihre Scheu verloren, weil sie nicht mehr bejagt werden", erklärt Miethke. Auch für Mittelspechte ist die Landeshauptstadt ein bevorzugter Lebensraum: "Potsdam ist genau wie Frankfurt eine der wenigen ‚Inseln' in Brandenburg, wo Mittelspechte auftreten." Deren Name, so Miethke, komme schlicht daher, dass ihre Größe zwischen Buntspecht und Kleinspecht liege. "Mittelspechte klopfen sehr leise, Kleinspechte hingegen machen viel Krach, fast wie ein MG."
Miethke ist schon seit frühester Kindheit von Vögeln fasziniert. Besonders Dohlen haben es ihm angetan, aber eigentlich habe er keinen wirklichen Lieblingsvogel, so Miethke: "Ich freue mich über jeden Vogel, den ich sehe."
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