zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Schwarze Weihnachten

Am Rande des Sinterklaas-Festes gab es Rassismus-Proteste. Abschaffen will man es aber nicht

Stand:

Innenstadt - Nach einem Jahr Pause war er wieder da: Am frühen Samstagnachmittag kam der Sinterklaas mit einem Schiff am Hafen der Weissen Flotte an, begleitet von den „Zwarten Pieten“, danach bestieg er eine Kutsche und fuhr zum Weihnachtsmarkt im Holländischen Viertel. Eigentlich ist das eine schöne weihnachtliche Tradition, die wunderbar ins Holländische Viertel passt und die es dort seit vielen Jahren gibt – aber ganz so einfach ist es dann doch nicht.

Es ist gar nicht die Sinterklaas-Figur, die an die Figur des Heiligen Nikolaus von Myra angelehnt ist, es sind seine Helfer, die sogenannten „Zwarten Pieten“, die wie berichtet bereits im Vorfeld für reichlich Zoff sorgten. Der ist diesmal jedoch nicht hausgemacht im sonst so polarisierungsfreudigen Potsdam: In den Niederlanden wird der Aufzug, der dort bereits am 5. Dezember stattfindet, dem Todestag des Heiligen Nikolaus, seit Jahren heftig diskutiert. Der Vorwurf: Der „Zwarte Piet“, eigentlich ein Äquivalent zum hiesigen Knecht Ruprecht, transportiert offen rassistische Symbolik – schwarz geschminkte Haut, Kraushaarperücke, rote Lippen, und das im Kontext der niederländischen Kolonisierungsgeschichte.

So fand sich am Samstag neben den Potsdamern und holländischen Touristen, die bunte Fähnchen zur Begrüßung schwenkten, auch eine Handvoll Gegendemonstranten ein, die mit dieser für sie diskriminierenden Haltung alles andere als einverstanden waren: „Kickout Zwarte Piet“ war auf einem der Transparente zu lesen, die etwa Jamie Schearer dabei hatte. „Es ist eines unserer Grundrechte, diskriminierungsfrei zu leben“, sagt sie. Eine Mutter habe sie angesprochen und ihr vorgeworfen, dass sie mit dem Protest doch den Kindern schade: „Das Gegenteil ist der Fall“, hält Schearer dagegen. „Wir wollen, dass unsere Kinder vorurteilsfrei aufwachsen.“ Kunta Rincho ist extra aus Amsterdam angereist: Der Aktivist engagiert sich europaweit in verschiedenen Netzwerken gegen institutionellen Rassismus. „Ich bin genauso Niederländer wie die anderen. Warum soll ich für meine Akzeptanz kämpfen müssen?“, fragt er. In den Niederlanden sei der Rassismus viel offener ausgeprägt, bei den Protesten seien er und seine Mitstreiter offen attackiert worden. Dass hier mit rassistischen Stereotypen gespielt wird, steht für Rincho außer Frage: „Dass der Zwarte Piet schwarz ist, weil er durch den Schornstein gekrochen ist, ist doch ein lausiges Argument“, sagt er. Es gebe Buchillustrationen, wo die Pieten noch eine Kette am Fuß haben und mit gebrochenem holländischen Akzent sprechen. Damit würden Menschenrechte verletzt. Auch der ehemalige Grünen-Stadtverordnete Andreas Menzel stellt sich auf die Seite der Protestierenden: Er habe den Innenminister und die Familienministerin angeschrieben, sagt er. Eine Anzeige wegen Rassismus sei gerade von der Polizei vor Ort abgewiesen worden – man sei nicht zuständig.

Hans Göbel, der ehrenamtliche Organisator des Festes, steht im Holländischen Viertel, ringt um Fassung. Er hebt die Hände, als ob er damit beschwichtigen könnte, sein Rauschebart bebt, wenn er redet. Es gehe hier um Empfindungen, das könne man doch nicht gleich mit Rassismus gleichsetzen: Schließlich könne man ja auch nicht „Othello“ verbieten, nur weil ein Schwarzer auf der Bühne stehe. „Lassen Sie sich bloß nicht kleinkriegen!“, sagt ein älterer Mann im Vorbeigehen und klopft ihm zaghaft auf die Schulter. Für Göbel gehört das Fest zu Potsdam, sein ganzes Herzblut hängt daran. Und nun soll er ein Rassist sein? Sei es nicht vielmehr so, dass der Bischof, der heilige Nikolaus von Myra, die Sklaven befreit habe, weshalb sie nun Geschenke bringen? Resignieren möchte Göbel jedenfalls nicht: „Die sollen mitfeiern oder gehen!“, sagt er. Ändern will er jedenfalls nichts: Das Fest gebe es nur so – oder gar nicht.

Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) kennt das Sinterklaas-Fest noch aus seiner Kindheit in Ostfriesland – aber ihm ist klar, dass es Kompromisse geben muss, wenn das Fest gerettet werden soll: Nächstes Jahr werde man sich da an einen Tisch setzen müssen und darüber sprechen. „Wir werden das nicht verbieten, auch wenn das einige gefordert haben.“ Wenn es das Fest nicht mehr geben würde, wäre das jammerschade, immerhin hänge viel ehrenamtliches Engagement dran. „Da wird ein Fest organisiert, und dann wird den Veranstaltern Rassismus vorgeworfen. Das halte ich für maßlos“, so Jakobs.

Währenddessen wird es weihnachtlich, es riecht nach Glühwein, die Menschen drängen sich, Tausende kommen über das Wochenende. Jakobs steht auf der Kreuzung von Benkert- und Mittelstraße und singt mit tiefem Bass „O du fröhliche“. So leicht lässt sich ein Potsdamer das Feiern nicht verbieten.

Oliver Dietrich

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })