Etwas HELLA: Schweizer Käse in der City
Es war ein beeindruckendes Bild, wie sich starke Männer weinend in den Armen lagen und dabei jubelten. Wir sind Weltmeister.
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Es war ein beeindruckendes Bild, wie sich starke Männer weinend in den Armen lagen und dabei jubelten. Wir sind Weltmeister. Wie lange wird es dauern, bis etwas anderes dieses Wir-Gefühl abgelöst hat? Immerhin waren wir auch schon mal Papst und sind womöglich irgendwann auch mal Tour-de-France-Superstar. Wenden wir uns deshalb schnell den profanen Sachen zu. Ich habe zum Beispiel ganz wider Erwarten festgestellt, dass der Luisenplatz, wenn man ihn ansprechend möbliert, durchaus Aufenthaltsqualität hat. Vielleicht ist seine Ausrüstung mit Tischen, Stühlen und Sonnenschirmen nicht nur zum Public Viewing eine Option für die Zukunft.
Leider aber macht mir nun ein anderer Platz in der Stadtmitte heftige Sorgen. Vielleicht ist ja aber auch der Vorschlag, Potsdams historische Mitte zu einem Schweizer Käse zu machen, so schnell vergessen wie der Fußball, den andere Sportarten längst aus den Nachrichten verdrängt haben. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe nichts gegen Schweizer Käse, an dem das Schönste die Löcher sind. Und ich möchte auch liebend gern den Stadtkanal wiederhaben. Aber das unterirdische Einkaufs- und Kulturzentrum, das uns da offeriert wurde mit einem gesponserten Stadtkanal oben drüber, finde nicht nur ich gruselig. Und dann muss der Architekt, der es uns auf das Wärmste empfiehlt – um mal im schmackhaften Bild zu bleiben –, auch noch Tomaten auf den Augen haben. Wer hat ihm denn eingeredet, dass der Platz der Einheit keine urbane Qualität hat? Vor allem Jüngere lieben ihn längst, halten sich gern und auch offiziell gewünscht auf dem Rasen auf oder machen die Randtreppenstufen zu Sitzbänken. Dazu grünt er sichtbar grün und ist eine fröhliche Lunge der Innenstadt. Dass ich dafür einen amphitheaterähnlichen Eingang in die Unterwelt kriege, das kann sich doch nur ein Betonfreak ausgedacht haben. Oder darf ich mit Naturstein rechnen? Der gibt dann hoffentlich den Grafittikünstlern eine Plattform und wird natürlich überhaupt nicht vermüllt, wie es jetzt mit dem Platz der Einheit geschieht. Was ein triftiger Grund für seine Umgestaltung wäre. Wenn wir allerdings alles umgestalten, was irgendwann zweibeinige Ferkel schlecht behandeln, ich wage gar nicht weiter zu denken... Dafür plätschert dann aber in voller Länge der Stadtkanal wieder durch Potsdam, ist so blau und sauber und ist nicht mehr rasengrün wie das Teilstück in der Yorkstraße.
Aber vielleicht kann man ja die Landesinvestitionsbank, die an den Ufern der Neuen Fahrt ein neues Gebäude errichtet, gewinnen, ein Stück vom ganz normalen Stadtkanal zu sponsern. Dann geht es mit seinem Ausbau womöglich auch ohne Durchlöcherung der Innenstadt weiter. Die ILB soll nämlich etwas tun, was sie am besten lässt. Man hat ihr nahegelegt, eine zweite Brücke zwischen Bahnhof und Freundschaftsinsel zu finanzieren. Diese Brücke wäre genau so ein Unikum wie der Schweizer Käse in der City. Von der Verwirklichung dieser Schnapsidee befreit, bliebe bestimmt etwas Geld übrig, um es in den Kanal zu stecken. Und wenn nicht, könnte sie es sich ja leihen. Die Zinsen sind gerade sehr günstig!
Unsere Autorin ist langjährige Redakteurin und jetzt freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Potsdam.
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