
© A. Klaer
Landeshauptstadt: „Schwieriger als gedacht“
Wie ist das, nicht sehen zu können? Mitarbeiter des Verkehrsbetriebs erfuhren es bei einem Aktionstag
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Für Busfahrerin Monika Behrendt sind blinde oder sehbehinderte Fahrgäste eigentlich nichts Ungewöhnliches. „Bei manchen steige ich aus und helfe ihnen zum Platz, andere kommen ganz gut allein oder mit ihrem Blindenhund zurecht, das geht sogar recht flott“, sagt sie. Am gestrigen Freitag hatte Behrendt, die seit vier Jahren für den Potsdamer Verkehrsbetrieb (ViP) arbeitet, Gelegenheit, sich in die Situation von Sehbehinderten hineinzuversetzen – wenn auch nur für wenige Minuten.
Mit ihrem Kollegen Jörg Bendschneider, der seit 1995 Straßenbahnen durch Potsdam steuert, nahm sie an einer Aktion im Rahmen der Woche des Sehens teil, die gemeinsam von der Christoffel Blindenmission (CBM) und den Verkehrsbetrieben organisiert worden war. Beide Fahrer setzten sich eine Brille auf, die das Endstadium der Augenkrankheit Katarakt – auch grauer Star genannt – simulierte und arbeiteten sich nur mithilfe eines Stocks durch einen Parcour: Über Stufen und Schrägen, an Ecken entlang, über groben Schotter, an einer Mülltonne und Pflanzen vorbei.
Als „schwieriger als gedacht“ empfanden viele Mitarbeiter des ViP diese Aufgabe, sagt Marketing- und Vertriebsleiterin Sarah Böhm. Etwa 50 Kollegen überwiegend aus Verwaltung, Werkstatt und Marketing hätten sich an der Aktion beteiligt. Eigentlich war der Termin hauptsächlich für die Fahrer gedacht gewesen, um sie für die Belange sehbehinderter Menschen zu sensibilisieren – 1400 Blinde oder Sehbehinderte leben in Potsdam. Doch aufgrund der Bombenentschärfung waren die meisten Fahrer kurzfristig im Ersatzverkehr eingebunden und verhindert, hieß es. Dennoch sei es für alle Mitarbeiter spannend und wichtig zu schauen, welche Schwierigkeiten für Menschen mit Sehbehinderungen sich im täglichen Nahverkehr ergeben könnten. Der Austausch zum Beispiel mit dem Behindertenverband habe bereits Erfolge gezeigt: So wurden in den neuen Variobahnen sämtliche silberne Haltestangen mit gelben Markierungen versehen, um den Kontrast möglichst deutlich zu gestalten. Die Combinobahnen wurden in dieser Farbgebung nachgerüstet. So sei eine Orientierung in der Bahn besser möglich, erklärte Böhm. Ebenso habe man die Anzeigetafeln an den Haltestellen, den Bussen und Bahnen möglichst kontrastreich eingestellt, um sie gut lesbar zu gestalten. In den Bussen selbst gibt es bekanntlich akustische Ansagen.
In Trams sind Menschen mit einer Sehbehinderung jedoch weitaus mehr auf sich selbst oder die Hilfe ihrer Mitfahrer angewiesen. Das funktioniere in der Regel auch, hat Tramfahrer Bendschneider beobachtet. „Wir können nicht immer erkennen, ob jemand sehbehindert ist“, sagt er. Nicht alle Betroffenen trügen eine Binde oder benutzten einen Stock. Nicht alle Menschen mit einer Sehbehinderung trauen sich allerdings, am öffentlichen Nahverkehr teilzunehmen, so Birgit Steittmann von der CBM. „Viele vor allem spät Erblindete oder Ältere sind einsam und wir haben keine Rückmeldung, wie viele es sind.“ Bei Bedarf, so ViP-Mitarbeiterin Böhm, könne für diese Zielgruppe ein Mobilitätstraining organisiert werden.
Unfälle oder Vorfälle mit blinden oder sehbehinderten Fahrgästen habe es in den vergangenen Jahren beim ViP nicht gegeben. Für die Straßenbahnfahrer ist dennoch eine Sonderfahrt geplant: Dann sollen die Mitarbeiter selbst das Ein- und Aussteigen mit einer Sehbehinderung sowie die Situation an einer Haltestelle erleben. Jörg Bendschneider hat schon jetzt einen Vorschlag: In Dresden gebe es kleine tragbare Informationsgeräte, die den Fahrgästen Tramlinien und Haltestellen direkt ansagen. „So was wäre hier in Potsdam doch auch gut“, meint er.
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