Von Mark Minnes: „Sein Leben stand für echte Mobilität“
Der Potsdamer Romanist Ottmar Ette präsentiert Alexander von Humboldt in zwei neuen Büchern als Vordenker der Globalisierung
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Alexander von Humboldt bezeichnete sich selbst als „Fremdling und Nomade zwischen den Wissenschaften“. Aber mit demselben Recht hätte er sich als Weltbürger, preußischer Republikaner und Mann des Volkes bezeichnen können. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war er ein Star, ein unbequemer und überaus erfolgreicher Wissenschaftler. Er fand sich mit dem eigenbrötlerischen Preußen nicht ab und ging über Paris, Madrid und Sankt Petersburg auf Forschungsreisen. Wenn er in seine Heimatstadt Berlin zurückkehrte, wurde er mit seinen Büchern und Vorträgen zum Publikumsliebling. Er wirkte als wegweisender Naturforscher, Geograph, Historiker und, nicht zuletzt, als Schriftsteller und Philosoph.
Ottmar Ette, Professor für französische und spanische Literaturwissenschaft an der Uni Potsdam, ist einer der renommiertesten Experten für das Werk Alexander von Humboldts. Seit über 20 Jahren arbeitet er daran, den Deutschen eine der wichtigsten Gestalten ihrer Wissenschaftsgeschichte wieder nahe zu bringen. Mit Erfolg: Große Verlage haben inzwischen das Thema für sich entdeckt und bescheren Alexander von Humboldt in seinem 150. Todesjahr eine Renaissance.
In seiner neuen Monographie „Alexander von Humboldt und die Globalisierung“ arbeitet Ottmar Ette das global ausgerichtete Denken des Preußen auf historisch fundierte Weise heraus. Gleichzeitig gab er ein weiteres Werk Humboldts heraus. Die „Kritischen Untersuchungen zur historischen Entwicklung der geographischen Kenntnisse der Neuen Welt“ (beide im Insel Verlag) sind ein Kernstück aus Humboldts Werk, das nun wieder zugänglich ist.
„Die heutige Diskussion über die Globalisierung wäre ohne Alexander von Humboldt undenkbar“, sagte Ette kürzlich bei einem Vortrag im Literaturhaus Berlin. Humboldt, der von 1799 bis 1804 weite Teile der Amerikas bereiste, sei es um das „Zusammenleben und Zusammendenken der Kulturen“ gegangen. Alexander von Humboldt verblieb dabei nicht in der Theorie. In seinen „Kritischen Untersuchungen“ beklagte Humboldt die „hochtrabende Weitschweifigkeit“ und den „falschen Geschmack“ der „Klostergelehrten“. Alexander von Humboldt fühlte sich unter dem Sternenhimmel wohler, als in Klostermauern oder Universitäten.
Für Humboldt war Wissenschaft eine Frage der Erfahrung im doppelten Wortsinn: Sein Leben stand für echte Mobilität, betonte Ottmar Ette. Humboldt verbrachte Monate auf Schiffen und fühlte sich so in die Existenz seines Vorbildes Christoph Kolumbus hinein. Er bestieg die Gipfel der Anden und befuhr die Ströme des Regenwaldes. So wurde er auf seiner Amerikareise und auf seiner Russlandexpedition 1829 zu einem echten Pionier. Er setzte auf eigene Erfahrungen und auf ein weltweites Netz von Korrespondenten, mit denen er etwa 35 000 Briefe austauschte.
„Alles ist Wechselwirkung“, so das Motto seiner gelebten Wissenschaft. Humboldt vereinte empirische Forschung und historisch-philosophisches Wissen zu einem neuen Wissenschaftsverständnis. Allein diese moderne Haltung war zu seiner Zeit noch umstritten. Dass er zudem über 20 Jahre lang in Paris lebte und auf Französisch schrieb, war für einen Preußen höchst ungewöhnlich. Und in den Augen der Gegenwart und der zunehmend nationalistischen deutschen Nachwelt war es schlicht skandalös. Für lange Zeit wurde Alexander von Humboldt in Deutschland deswegen totgeschwiegen.
Doch Mobilität war bei Alexander von Humboldt auch eine Geisteshaltung. Mit dem Feinsinn des Literaturwissenschaftlers hat Ottmar Ette herausgearbeitet, wie Humboldt in seinen Texten ein dichtes Netz an Bezügen webte. Zitate in bis zu 12 Sprachen, ein sorgfältig geplantes Zusammenspiel von Text und Illustration und kleine augenzwinkernde Randnotizen: Sinnlichkeit und Lust am Lesen stehen im Vordergrund. Ottmar Ette weist heute nach, dass Humboldt nicht nur ein Vordenker der Globalisierung, sondern auch ein großer Schriftsteller war.
Alexander von Humboldt unterwanderte gekonnt die Grenzen wissenschaftlicher Disziplinen und nationaler Eitelkeiten. So räumt Ottmar Ette in seinem neuen Buch auch mit alten Klischees auf, die die Wahrnehmung Alexander von Humboldts noch immer behindern: Humboldt ist weit mehr als ein „Universalgelehrter“ und „Weltvermesser“ aus vergangenen Zeiten. Für Ottmar Ette ist Humboldt ein Vordenker von Wissenschaftlichkeit jenseits disziplinärer Schranken und ein Meister des interkulturellen Denkens. Humboldt, so Ette, erkannte die Ansprüche, die das Leben in der Globalisierung an uns stellt: das Zuhören, der Perspektivenwechsel und vernetztes Denken. Alexander von Humboldt, so ist bei Ottmar Ette zu entdecken, ist heute unser Zeitgenosse.
Mark Minnes
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