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Landeshauptstadt: Selbst für den „Eisbär“ zu kalt

Minus 18 Grad in Potsdam: Eisbrecher gibt auf, Andrang in Suppenküche, Heizwerk auf Hochtouren

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Wer nicht raus muss, bleibt zu Hause. Alle anderen hüllen sich in dicke Mäntel und Schals, die sibirische Kälte hat auch Potsdam fest im Griff. 18 Grad unter Null zeigte das Thermometer auf dem Telegrafenberg in der Nacht zu Montag. Tagsüber wurde es nicht viel wärmer: Die Wetterstation des deutschen Wetterdienstes auf dem Telegrafenberg zeigte um 13.42 Uhr „minus 12,3 Grad“ an. „Das Wärmste“, was Meteorologin Silke Franz dort gestern gemessen hatte.

Trotz Tiefsttemperatur von Minus 14 Grad mussten die Notärzte weder im Klinikum „Ernst von Bergmann“ noch im St. Josefs-Krankenhaus Menschen mit Erfrierungen behandeln. Allerdings sei in beiden Häusern die Zahl der Patienten angestiegen, die mit Knochenbrüchen eingeliefert würden, weil sie auf Eis ausgerutscht sind, erklärten gleichermaßen Theresa Decker vom Klinikum und Marco Gutzschebauch vom St.-Josefs-Krankenhaus. Doch davon abgesehen gab es in Potsdam keine großen witterungsbedingten Unfälle. Die Polizei registrierte gar einen Rückgang der Verkehrsunfälle. Sprecherin Angelika Christen vermutete, dass sich die Fahrer den Witterungsbedingungen anpassten oder ihr Auto gleich stehen ließen. Teilweise auch unfreiwillig, denn häufig streikten die Fahrzeugbatterien. Mehr als doppelt so oft wie noch in der vergangenen Woche mussten Potsdamer Autowerkstätten und sogar Taxidienste Starthilfe leisten. Im gesamten Land Brandenburg waren allein dafür die Pannenhelfer des Automobilclubs ADAC seit vorgestern rund 2000 Mal im Einsatz.

Ununterbrochen habe dagegen der öffentliche Personennahverkehr in Potsdam funktioniert. Die Straßenbahnen fuhren wie geschmiert und noch seien auch die Schienen in Ordnung, so Stefan Klotz, Sprecher der Stadtwerke, zu denen auch der Verkehrsbetrieb (ViP) gehört. Allerdings drohe laut Klotz „die Gefahr, dass die Stahlschienen brechen“, denn die Kälte mache sie „spröder“. Schienenersatzfahrpläne für den Notfall existierten. Einzig eine Weiche haben Mitarbeiter gestern Vormittag auftauen müssen – mit einem Bunsenbrenner. Um weiterem Festfrieren vorzubeugen, kontrollierten ViP-Angestellte die Weichen gestern ständig. Zwei Drittel der Weichen seien laut Klotz ohnehin beheizt. Bei der eisigen Kälte konnte nicht einmal der beginnende Winterschlussverkauf die Potsdamer vor die Tür locken: „In der Innenstadt war wenig los, weil es so kalt ist“, resümierte gestern die Präsidentin des Handelsverbandes Berlin/Brandenburg, Karin Genrich. Und auch bei Karstadt herrschte „gähnende Leere“, so Mitarbeiterin Karola Piechulla. Wie leergefegt auch der Bassinplatz – vom Wochenmarkt keine Spur. Nur ein Bäcker- und ein Fleischerstand sowie der Asia-Imbiss hielten die Stellung – zumindest bis zum frühen Nachmittag. Weder Obst- und Gemüsehändler noch Blumenverkäufer waren gekommen. Denn Gemüse vertrage kein Frost, so Monika Wolters. Die Backwarenverkäuferin der Bäckerei Lenz hatte sich in vier Schichten gekleidet, um der Kälte zu trotzen: Unterhemd, zwei Pullover und eine dicke Daunenjacke. Ihre Kunden bediente sie im zugigen Verkaufswagen mit Wollhandschuhen. Etwas wärmer hatten es da die beiden Verkäuferinnen der Fleischerei Riek in ihrem Wagen – dank eingebauter Fußbodenheizung und Heißluftstrahler. Trotzdem schlossen die drei Stände früher als gewöhnlich. Denn nicht nur die Kollegen waren gestern zu Hause geblieben, auch die meisten Kunden.

Um die, die kein Zuhause haben, sorgt sich Ulrike Otto, Sozialarbeiterin der Volkssolidarität. Sie befürchtet, dass Obdachlose in den Eisnächten erfrieren könnten. Otto kümmert sich unter anderem um die Gäste der Suppenküche in der Lindenstraße und weiß, dass einige von ihnen auch jetzt noch „Platte machen“, also im Freien übernachten. Friedhelm Lothar, Leiter der Suppenküche, sieht die Situation entspannter: „Die haben schon ihren Unterschlupf, jeder hat sein Plätzchen.“ Seine Gäste wüssten, wie gefährlich zur Zeit eine Übernachtung im Freien sei. Vorräte in der Küche seien noch genügend vorhanden. In der Weihnachtszeit, aber auch danach, hätten die Potsdamer viel gespendet. Gebraucht werde aber weiterhin warme Kleidung.

Obwohl das Obdachlosenheim am Lerchensteig „seit einem Jahr überbelegt“ sei, so Heimleiterin Christa Zinnecker, werde generell kein Bedürftiger abgewiesen. Damit neben den 80 Betten wenigstens die zehn Notbetten frei bleiben können, werde für die 91 Obdachlosen, die zurzeit dort wohnen, ein weiteres Anwesen neben dem neuen Heim genutzt, in dem bis zu zwölf zusätzliche Betten aufgestellt werden können. Durch die Einrichtung betreuter Wohngemeinschaften versuche die Stadt, die Notunterkunft weiter zu entlasten. Bei Bedarf könnten Einzelzimmer auch doppelt belegt werden.

Dafür, dass es in den Wohnungen der Potsdamer gestern warm blieb, sorgte vor allem das Gasheizkraftwerk Süd im Industriegebiet Rehbrücke, aber auch das Heizwerk Nord in der Zeppelinstraße. Beide beheizen rund 60 Prozent aller Potsdamer Haushalte mit Fernwärme. Gestern lief das Werk in Rehbrücke auf Hochtouren, so Stadtwerkesprecher Stefan Klotz. 200 Megawatt müsse das Kraftwerk zurzeit leisten – also ein Viertel mehr als die „160 Megawatt an normalen Januartagen“. Doch seine Kapazitätsgrenze sei noch längst nicht erreicht: Bis zu 275 Megawatt thermische Leistung könne das Werk aufbringen.

Trotzdem haben die Stadtwerke 30 Mitarbeiter zusätzlich in Bereitschaft, falls irgendwo die Heizung ausfällt oder ein Rohr bricht. Bis gestern Abend jedoch habe es in Potsdam keine Zwischenfälle aufgrund des Frosts gegeben, so Klotz. Allerdings bemerke man die meisten Rohrbrüche erst, wenn es wieder taut und das Wasser tatsächlich austreten kann. Um zu vermeiden, dass Rohre durch gefrorenes Wasser bersten, sollte jeder die Heizung auch in unbenutzten Räumen nie ganz ausstellen, betont Klotz. Zudem sollten die Potsdamer ihre Kellerfenster geschlossen halten und gegebenenfalls ihre Zähler abdecken um sie so vor Kälte zu schützen.

Bereits seit Freitag ruhen die Bauarbeiten an der Baustelle für das neue Operationszentrum und das neue Perinatalzentrum des Klinikums „Ernst von Bergmann“ in der Charlottenstraße. Laut Sprecherin Theresa Decker sei es ab 5 Grad Minus zu kalt, um Beton zu verarbeiten.

Und selbst der Potsdamer Havel-Eisbrecher „Eisbär“ gab gestern gegen 14 Uhr auf, nachdem er tapfer den „Unteren Havelwasserweg“ von Potsdam nach Brandenburg frei geräumt hatte. Die Eisdecke war mit 20 Zentimetern zu dick für ihn geworden, sagte Thomas Krüger vom Schifffahrtsamt in Potsdam. Vorn habe „Eisbär“ das Eis aufgebrochen und hinter dem Schiff sei es sofort wieder zusammengefroren.

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