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Landeshauptstadt: Selbst in Potsdam gayt einiges

Schwule Lebensfreuden: Homosexuelle treffen sich in Cafés und tauschen sich im Internet aus

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Zunächst war es nur eine vage Ahnung. Später konnte sich Yvonne Schulze-Schöttler gegen ihre Gefühle nicht mehr wehren. Sie waren neu. Sie waren schön. Aber sie waren vor allem: verwirrend. Neun Jahre lang glaubte sie, mit ihrem Freund glücklich zu sein – doch plötzlich empfand sie Zuneigung für eine Frau. Nur: In Prenzlau, diesem kleinen, trüben Nest nördlich von Berlin, konnte ihr niemand helfen. Wobei auch? Probleme wie ihre gibt es dort nicht. Es hat sie dort einfach nicht zu geben. Frauen lernen einen Beruf, heiraten und kriegen irgendwann Kinder – so ist es schon immer gewesen. So war es auch schon immer bei den Schöttlers.

Also blieb dem jungen Mädchen damals nichts anderes übrig, als die Flucht anzutreten. Natürlich nennt sie das nicht so, wenn sie heute rückblickend von jener Zeit erzählt – davon, dass sie vor 13 Jahren zum Studium nach Potsdam kam; davon, dass sie erst einmal Abstand von ihrer Familie brauchte, um sich über ihre eigenen Empfindungen klar zu werden. „Meine Eltern haben sich schwer getan zu akzeptieren, dass ich lesbisch bin. Mein Coming-Out war eine harte Zeit“, sagt Yvonne Schulze-Schöttler mit ernstem Blick.

Ihre persönlichen Erfahrungen sind der Grund dafür, dass die mittlerweile 32-Jährige anderen Menschen in ähnlichen Situationen beratend zur Seite zu stehen will. Gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin Antje Schulze, die sie vor drei Jahren im Standesamt Potsdam heiratete, gründete Schulze-Schöttler im Januar 2005 die Internetplattform www.schichtwerk-potsdam.de. Hier sollen sich Schwule und Lesben austauschen können. „Unsere Idee war es, ein Netzwerk zu schaffen, an dem sich möglichst viele Potsdamer beteiligen können“, sagt Schulze-Schöttler. Und so finden sich auf der Seite neben einem Kontakt-Bereich auch die Online-Story „Gutes Potsdam – schlechtes Potsdam“, an der die Besucher mitschreiben können. Zudem gibt es eine Terminübersicht über anstehende Veranstaltungen und einen Bereich mit Inseraten, sowohl privaten als auch beruflichen. Mehrere 100 Zugriffe verzeichnet die Seite mittlerweile monatlich.

„Das Problem ist, dass die verschiedenen Gruppierungen in Potsdam nicht zusammenarbeiten“, sagt Schulze-Schöttler. Ihr Wunsch sei es, daran etwas zu ändern. Die Plattform soll daher der gegenseitigen Unterstützung dienen.

Unterstützt wird vom „Schichtwerk“ beispielsweise die „Initiative zur Erhöhung homosexueller Lebensfreuden in Potsdam“. Seit 1999 organisiert diese an jedem zweiten Sonnabend im Monat im Café „Koschuweit“ in der Charlottenstraße die schwul-lesbische Partyreihe „Nachtschicht“. Die Veranstaltung bietet ein buntes Programm aus erotischen Lesungen und künstlerischen Darbietungen. Im Anschluss daran legt DJane Antje S. Worldbeats, deutschsprachige Musik und 80er Jahre Hits auf. Die Einnahmen der Party spenden die Veranstalter einer Patenfamilie auf Sumatra.

Wem der Sinn eher nach einem entspannten Gespräch statt nach Party steht, der kann sich in einem der einschlägigen Cafés in der Innenstadt treffen. Als besonders exzentrischer Gastgeber gilt Jirka Witschak. Im „La Leander“ in der Benkertstraße empfängt der Mann mit den roten, zu kleinen Hörnern geformten Haaren seine Besucher in heimeliger Retro-Atmosphäre. Witschaks Treffpunkt ist eigenen Angaben zufolge seit 1998 der erste Ort, an dem sowohl homo- als auch heterosexuelle Menschen ungezwungen zusammenkommen. Ebenso unverkrampft geht es schräg gegenüber im „Lapis Lazuli“ zu. Hierher kommen vor allem Menschen mit einer Vorliebe für urig-rustikales Interieur. Elegante Lounge-Atmosphäre vermittelt hingegen die „Unscheinbar“ in der Friedrich-Ebert-Straße. Dort können die Gäste ihre Drinks an einem mit bunten Lichtern in Szene gesetzten Tresen zu sich nehmen.

Eine von unten gewachsene Gay-Community wie etwa in Berlin oder Köln gebe es in der brandenburgischen Landeshauptstadt jedoch nicht, sagt Yvonne Schulze-Schöttler. „Das Angebot ist noch ausbaufähig.“ Diesen Eindruck bestätigt auch Luna Jakob. Die 24-jährige Studentin, die noch bis vor kurzem selbst gerne die einschlägigen Treffpunkte besuchte, um Frauen kennen zu lernen, hat sogar ihre Zweifel daran, ob es hier überhaupt die Notwendigkeit für eine solche Szene gibt: „Viele Projekte sind hier gescheitert und im Keim erstickt, weil Berlin einfach zu nah dran ist. Wer eine homogene Szene will, fährt die halbe Stunde in die Hauptstadt.“ Und auch, wer es wilder mag.

Gescheitert ist in der Vergangenheit unter anderem das „Quartier“ in der Charlottenstraße. Im Sommer vergangenen Jahres musste der bei Schwulen und Lesben lange Zeit sehr beliebte Treffpunkt schließen. Allerdings haben die Betreiber angekündigt, ihren als Bistro und Café betriebenen Laden innerhalb der nächsten Wochen neu zu eröffnen. Wo das allerdings sein wird, halten sie bislang geheim.

Bis dahin können sich Potsdams Homosexuelle aber auch völlig zwanglos an jedem anderen Ort der Stadt treffen. „Potsdam ist eine sehr freizügige Stadt. Man braucht sich hier nicht zu verstecken“, sagt „Schichtwerk“-Betreiberin Yvonne Schulze-Schöttler. In Begleitung ihrer Lebensgefährtin sei sie bislang noch nie beschimpft oder angepöbelt worden. Luna Jakob glaubt, den Grund dafür zu wissen: Viele Kämpfe der Schwulen und Lesben seien längst ausgetragen – zumindest in Potsdam. „Heute ist es völlig normal, dass wir ins Kino gehen und uns einen Film mit zwei schwulen Cowboys ansehen. Vor ein paar Jahren wäre so etwas noch undenkbar gewesen.“

„Nachtschicht“ im Koschuweit, Charlottenstraße 31. Beginn heute Abend 22 Uhr

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