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Landeshauptstadt: „Senioren in Kampf gegen Rechts einbeziehen“

Thema: Wie weckt man die schweigende Mitte? – Roth: Bringt das die Mehrheiten, die gewollt sind?

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Als Ermyas M. am Montagvormittag den Plenarsaal des Potsdamer Stadthauses betrat, referierte Mario Peucker über rassistische Tendenzen in Deutschland. Und darüber, welchen Aufschrei es in der Gesellschaft geben wird, wenn die Zahlen rechtsextremer Übergriffe aus dem laufenden Jahr vollständig vorliegen. Denn die Halbjahresmarken für Deutschland lägen deutlich über denen des Vorjahres, sagte der Mitarbeiter des Europäischen Forums für Migrationsstudien in Bamberg. Knapp 6000 Übergriffe seien allein zwischen Januar und Juli gezählt worden – der Fall des Deutsch-Äthiopiers Ermyas M. aus Potsdam ist einer davon.

Nach dem Überfall auf den Doktoranden am Bahnhof Charlottenhof am Osterwochenende ist die gestrige Tagung zum bürgerschaftlichen Engagement gegen Fremdenfeindlichkeit ins Leben gerufen worden. Jedoch folgten der Einladung unter dem Titel „Wie weckt man die schweigende Mitte?“ nicht einmal zwei Dutzend Zuhörer. So originell der Tagungstitel erscheinen mag, Professor Dr. Roland Roth von der Universität Magdeburg sieht darin eine „Verlegenheit“ Potsdams im Umgang mit dem Problem. „Genügt es Mehrheiten zu wecken?“, fragte Roth. Beziehungsweise: „Bringt das die Mehrheiten, die gewollt sind?“ Vielleicht werde ein Ungeheuer geweckt, das gar keiner wach küssen wolle. Roth plädierte daher für ein Umdenken im Kampf gegen den Rechtsextremismus, vor allem im konzeptionellen Bereich.

Die Fixiertheit auf die Jugend bezeichnete er als „großen Skandal“. Die Jugend sei am wenigsten für den Zustand der Zivilgesellschaft verantwortlich, werde jedoch von ihr geprägt. Dem folgten nicht alle Tagungsteilnehmer aus Potsdamer Vereinen: Man warnte davor, die Wirkung der Jugend zu bagatellisieren. Ginge es nach Roth, sollten künftig vermehrt die Senioren angesprochen und in Projekte eingebunden werden. Er sieht diese als Basis in Familien sowie untereinander gut organisiert. Zumal die Wirksamkeit der Projekte wissenschaftlich nicht belegt sei, da eine Evaluation nicht stattgefunden habe. Somit sei heute nicht einmal die Frage zu klären, ob das Geld in Projekten – seit 2000 immerhin mehr als 340 Millionen Euro – gut angelegt sei. Oder vielleicht eine frühere ehrenamtliche Arbeit mit der jetzigen finanziellen Unterstützung mehr Erfolg erzielt hätte.

Mario Peucker sagte, bundesweit nähmen die rechtsextremistischen Straftaten seit dem Jahr 2003 wieder zu. Warum dies so ist, sei kaum erklärbar. Zumindest für den starken Rückgang vom Jahr 2000 zu 2001 machte er die Medien verantwortlich. Nach diversen öffentlichkeitswirksamen Anschlägen sei die Sensibilität für das Thema Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit gewachsen. Es habe sich bürgerschaftliches Engagement gebildet, daher seien die Zahlen gesunken. Auch in diesem Jahr erschütterte ein Fall die Menschen in Deutschland – der Fall Ermyas M.. Peucker kritisierte auf der Tagung die Reaktion von Innenminister Wolfgang Schäuble (CSU) auf den Vorfall. Der sagte damals: „Es werden auch blonde blauäugige Menschen Opfer von Gewalttaten, zum Teil sogar von Tätern, die möglicherweise nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Das ist auch nicht besser.“ Für Peucker würden derartige Meinungsbilder den Vorfall verharmlosen und die Arbeit gegen Rechtsextremismus unterwandern. Ermyas M. nickte bei diesen Worten stumm. J. Brunzlow

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