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Seitenwechsel. Sicherheitsbeamte in Zivil bewachten auf der Glienicker Brücke den Austausch von Ost- und Westspionen. Die Brücke zwischen Potsdam und dem damlaigen West-Berlin war dreimal Schauplatz von Agenten-Austauschaktionen.

© dpa/Jörg Schmit

Landeshauptstadt: Showdown auf der Glienicker Brücke

Eberhard Fätkenheuer gehörte zu den 23 Spionen beim größten Agenten-Austausch vor 25 Jahren

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Berliner Vorstadt - Es herrscht höchste Anspannung: Auf der Glienicker Brücke stehen sich um 12 Uhr mittags Diplomaten und Geheimdienste aus West und Ost gegenüber. Dazwischen nur eine weiße Linie, die markierte Grenze zwischen West- Berlin und der DDR. Auf beiden Seiten sitzen gefangene Spione in Bussen, und wissen nicht, was passieren wird. Ein einziges westliches Fernsehteam darf filmen. Dann geht Richard Burt, damaliger US-Botschafter in Bonn, über die Linie und steigt in einen Bus. Er stellt sich vor und bestellt den gefangenen West-Agenten Grüße von US-Präsident Ronald Reagan. Das verheißt Freiheit. Frenetischer Jubel bricht aus.

„Meine Gedanken waren sofort bei meiner Frau Helma“, erzählt Eberhard Fätkenheuer. Jahrgang 1944, aufgewachsen in der DDR, gehört er zu den 23 Agenten westlicher Geheimdienste, die an diesem 11. Juni 1985 auf der Grenzbrücke zwischen Berlin und Potsdam gegen vier Ost- Agenten übergeben werden. Ein Vierteljahrhundert nach dem größten Agentenaustausch des Kalten Krieges erinnert er sich noch genau: „Ich habe den Unterhändler der DDR, Wolfgang Vogel, direkt nach meiner Frau gefragt.“ Vogels Antwort wirft ihn um: Helma lebe mit einem anderen Mann zusammen und habe die Scheidung eingereicht.

Nach sechs Jahren Haft muss Agent „Helmut Prantel“ – so sein Deckname – eine Entscheidung treffen. Noch war er nicht über die Grenze. Er könnte bleiben, in der DDR, so wie zwei Mitgefangene an diesem Tag, aus familiären Gründen. Oder er lässt seine Frau zurück, in dem Staat, aus dessen Grenzen er immer ausbrechen wollte. Er spricht mit Botschafter Burt. Möglicherweise könne seine Frau in den Westen nachkommen, wenn sie denn wolle. Was sollte er tun? Fätkenheuer wählt die Freiheit, so wie er sich zehn Jahre zuvor für die Mitarbeit beim US-Geheimdienst entschieden hatte. Gebäude hatte er ausgekundschaftet, Menschen in der Nähe von Militäranlagen befragt. Er war einer unter vielen, die Informationen an den Westen lieferten. Kein Topspion. Einiges spricht dafür, dass an diesem Junitag keine ganz großen Fische getauscht wurden – sonst wären es nicht so viele Agenten gewesen.

Nun, auf der Glienicker Brücke, bleibt Fätkenheuer im Bus sitzen, der ihn über die weiße Linie bringt. „Es war ein Ausnahmezustand, totale Reizüberflutung, halb im Traum, halb besinnungslos vor Glück“, erinnert er sich heute. „Aber da waren auch Ängste, ich fühlte mich allein in der Gruppe mit meinen Entscheidungen.“ Im Konvoi werden die Westagenten zum Flughafen Tempelhof gebracht. Von dort geht es nach Frankfurt am Main und mit dem Bus nach Gießen in ein Auffanglager für Übersiedler. Während der Fahrt hören die ehemaligen Gefangenen im Radio die Nachricht vom spektakulären Agentenaustausch. Wieder klatschen und johlen sie. Nach dem ersten Austausch auf der Glienicker Brücke im Jahr 1962 ist nun auch der zweite Geschichte. Ein dritter sollte noch folgen, im Februar 1986, bevor die Wiedervereinigung der weißen Linie ihre Bedeutung nahm.

Einige Tage bleibt Fätkenheuer in Gießen, seine Daten werden erfasst, er beantragt einen Ausweis. Dann darf er nach West-Berlin, erneut in ein Auffanglager. Und wenige Wochen danach der große Glücksmoment: Frau Helma und der gemeinsame Sohn reisen aus der DDR aus. Die Familie ist endlich wieder vereint. „Meine Risikofreudigkeit war durch die Gefangenschaft aber auf dem Nullpunkt“, sagt Fätkenheuer. „Ich hatte Lebensängste.“ Mit den Jahren kommt er innerlich etwas zur Ruhe. Alpträume bleiben zwar, werden aber seltener. Darin wird er entweder erneut eingesperrt oder er erfährt von seiner baldigen Freilassung – anders als damals vor 25 Jahren im Juni, als er mittags im Bus auf der Glienicker Brücke saß und nichts wusste von dem bevorstehenden Agentenaustausch. Alexander Riedel/dpa

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