zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Sich Zeit genommen und kurz gefasst

Der erste Architekturführer Potsdams nach 1982 besticht mit Dichte und Materialreichtum

Stand:

Kalesse zitiert Goethe: „Die größte Achtung, die ein Autor für sein Publikum haben kann, ist, dass er niemals bringt, was man erwartet, sondern was er selbst auf der jedesmaligen Stufe eigner und fremder Bildung für recht und nützlich hält.“ Oft genug jedoch stehe die Vermarktungschance am Anfang einer Publikation. „Es ist erstaunlich, was alles für marktfähig gehalten wird“, so Stadtkonservator Andreas Kalesse weiter. Oft landeten in der Unteren Denkmalschutzbehörde „Konvolute“ – Papierbündel – mit der Bitte, man möge sie bitte innerhalb von zwei Wochen nach Fehlern durchsehen. Oft müsse man nach kurzem Durchsehen dem Verlag vorschlagen, sich einen anderen Autoren zu suchen.

„Doch hier war alles anders“, freut sich Kalesse über die Autoren des ersten Potsdamer Architekturführers seit 1982, der am 15. September in einer ersten Auflage von 3000 Exemplaren erscheint. Der eher für seinen bissigen Spott und weniger für ausgiebiges Loben bekannte Denkmalschützer nennt das entstandene „Standardwerk“ eine „außergewöhnliche Arbeit“, an der die Mitarbeiter seiner Behörde mit großem persönlichen Engagement beteiligt waren. „Gemeinsam wurde bewertet, besprochen und dargestellt“, so Kalesse. Zur Qualität des Werkes der Autoren Paul Sigel, Silke Dähmlow, Frank Seehausen und Lucas Elmenhorst erklärte der Stadtkonservator: „Die Fehlertradition der Potsdamer Literatur findet ein Ende.“ Sollten Leser dennoch Fehler in dem Buch entdecken, sollten sie diese dem Verlag mitteilen, damit sie in der zweiten Auflage nicht mehr vorkommen. „Weihnachten steht vor der Tür“, daher geht Kalesse davon aus, dass die Startauflage „schnell vergriffen“ ist. Potsdams Baubeigeordnete Elke von Kuick-Frenz nannte den Architekturführer „einen Leckerbissen besonderer Güte“.

In Umkehr des Zitat des Schriftstellers Karl Kraus – „Ich hatte nicht die Zeit, mich kurz zu fassen“ – nahmen er und seine Mitautoren sich die Zeit, die einzelnen relevanten Bauwerke sehr kurz zu porträtieren, erklärte Lucas Elmenhorst. Trotz ihrer teils „ungewöhnlichen Dichte“ seien die Texte auch für Nicht-Architekten gut verständlich. Die dargestellten Bauten sei nicht nach Gattungen oder Epochen geordnet, sondern topografisch, nach ihrer geografischen Lage. Mit einbezogen wurden auch Bauten aus den erst 2005 im Zuge der Eingemeindung zu Potsdam gekommenen neuen Ortsteilen. So findet sich das Fähr- und Fischerhaus Uetz, dessen Architekt kein Geringer als Ludwig Persius war. Ferner widmen sich Texte der Dorfkirche Marquardt, dem Universitätskomplex Golm, aber auch kleiner Wohnbauten wie dem Haus „Am Stinthorn“ in Neu Fahrland. Erklärt wird auch das Gutshaus Kartzow, das zum Tag des offenen Denkmals am kommenden Sonntag erstmals seine Tore für die Öffentlichkeit öffnet. Ein Drittel der in deutscher wie in englischer Sprache beschriebenen Architektur entstand nach 1982, als der letzte Potsdamer Architekturführer erschien, so Elmenhorst.

Das Buch zeigt schwarz-weiß-Fotos und Grundrisse der jeweiligen Gebäude. Neben der klassischen Architektur wird auch die „Ostmoderne“ aus DDR-Zeit thematisiert. So wird darin das Wohngebiet Am Stern mit seinen Bauphasen zwischen 1973 bis 1998 ebenso dargestellt wie die Villa Schöningen in der Berliner Vorstadt von Ludwig Persius, entstanden von 1843 bis 1845. Außergewöhnlich wird das Werk durch die recherchierten und verwendeten Dokumente: So enthält es eine Wettbewerbszeichnung von Architekt Gottfried Böhm für das neue Hans Otto Theater aus dem Jahr 1995. Sie macht deutlich, dass der Pritzker-Preisträger zuerst eine „Pylonen-Hängekonstruktion“ vorsah. Die Schalen sollten durch Tragseile von einem Mast aus gestützt werden. Gebaut wurden tatsächlich aber nicht aufgehängte Schalen, die dem Buch zufolge Assoziationen zum Opernhaus in Sydney hervorruft. Ferner findet sich die berühmte Skizze von Friedrich II. für das Schloss Sanssouci und die Terrassen.

„Architekturführer Potsdam“, Reimer Verlag, 24,90 Euro, ISBN 3-496-01325-7

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })