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Prozess gegen Neu Fahrländer Pflegeeltern: „Sie hätten eine härtere Strafe verdient“

Bewährungsstrafen im Prozess gegen ehemalige Pflegeeltern aus Neu Fahrland: Das Amtsrichterin sieht in der 65 Jahre alten Angeklagten die Hauptschuldige – mit einem Machtbedürfnis, das sich bis heute fortsetze

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Ihr Leugnen nutzte nichts: Die frühere Pflegemutter Heidi H. (*Namen geändert) aus Neu Fahrland ist am Montag vor dem Potsdamer Amtsgericht zu einer Haftstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden. Richterin Birgit von Bülow sah es als erwiesen an, dass die heute 65-Jährige zwischen 1999 und 2004 drei Pflegekinder misshandelt und erniedrigt hat. Zugleich muss die Besitzerin eines Hundesalons jeweils 5000 Euro Schmerzensgeld an die beiden Pflegekinder zahlen, die im Gericht als Nebenkläger auftraten. H.s dreizehn Jahre jüngerer Ehemann wurde wegen gefährlicher Körperverletzung des einstigen Pflegesohns zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt.

Damit blieb die Richterin für Heidi H. bei dem Strafmaß, das auch die Staatsanwaltschaft gefordert hatte – „obwohl Sie eine schärfere Strafe verdient hätten“. Doch lägen die angeklagten Taten bereits zu lang zurück, so von Bülow. Deswegen habe sie sich mit ihren Schöffinnen nicht auf eine Haftstrafe einigen können. Heidi H. habe brutale Erziehungsmethoden angewendet, sagte die Richterin. Dabei hätten zwar keine finanziellen Motive eine Rolle gespielt – pro Kind erhielten die Eltern nach Angaben eines Nebenklagevertreters bis zu 1000 Euro pro Monat. Nach Ansicht der Richterin ist es Heidi H. aber um das Bedürfnis nach sozialer Anerkennung als gute Pflegemutter gegangen – und um ein Machtbedürfnis, die Kinder zu beherrschen. Als erwiesen sah es die Richterin an, dass Ehemann H. dem Pflegesohn Markus P. in einem Fall ein brennendes Feuerzeug an die Genitalien hielt – um ihn für eine Kokelei zu bestrafen.

Zuvor noch hatten die Anwälte der Eheleute in ihren Plädoyers einen Freispruch für ihre Mandanten gefordert. Die von den einstigen Pflegekindern Nora S. und Markus P. im Zeugenstand erhobenen Anschuldigungen, sie seien regelmäßig geschlagen und auch mit Erbrochenem gefüttert worden, seien abgesprochen und „erstunken und erlogen“, sagte Heidi H.s Anwalt Thomas Bosdorf. Vielmehr hätten S. und P. Erfahrungen von der aus Gewalt und Alkohol geprägten Zeit bei ihren leiblichen Ursprungsfamilien zu einer neuen Geschichte zusammengesponnen. Zwar sei Heidi H. mit der Erziehung von drei bereits traumatisierten Pflegekindern vielleicht überfordert gewesen, räumte Bosdorf ein – doch dies sei nicht strafbar.

Richterin von Bülow urteilte anders. Eigentlich seien Heidi H. und ihr Mann voller guter Absichten gewesen, als die drei Kinder um 1995 herum in die Familien kamen. Zugleich aber hätten sie von Anfang an die Kinder für sich haben wollen – diesen sei eingeredet worden, das Jugendamt wolle sie wieder aus der Familie nehmen. Heidi H. habe die Kinder regelrecht programmiert, sodass sie beispielsweise keinen Kontakt mehr zu ihren leiblichen Eltern wollten. Doch sei im Kampf gegen das Jugendamt das Nervenkostüm von H. dünner geworden – dann hätten sich ihre Aggressionen gegen die Kinder gewendet. Diese seien drakonisch bestraft worden, weil sie sich nicht „so formen ließen“, wie die Angeklagte dies gern wollte, so die Richterin. Im Wunsch, die Kinder nach außen hin als gut erzogen zu präsentieren, sei bei Heidi H. jedes Maß verloren gegangen – „und wenn man sich einmal an Entgleisungen gewöhnt hat, geht es beim nächsten Mal schneller“. Und je mehr sich die Kinder gewehrt hätten, je schlimmer das Leben in dem von hohen Hecken umgebenen Einfamilienhaus in Neu Fahrland wurde – desto mehr habe sich H. auch gegen Hilfe von außen abgeschottet.

2004 flohen die Kinder. Doch eine der Pflegetöchter, die heute 27 Jahr alte Anne S., kam zurück. Unter anderem mit einem jetzt 62 Jahre alten verheirateten Freund der Familie hat sie zwei Kinder, dazu noch zwei weitere mit anderen Partnern. Erst ihre Aussage bei der Polizei brachte 2010 die Ermittlungen gegen das Ehepaar ins Rollen, vor Gericht aber widerrief sie alles. Dazu sei Anne S. „abgerichtet worden“, sagte Richterin von Bülow – bei der jungen Frau setze sich die speziell von der Angeklagten betriebene Einflussnahme und Machtausübung fort. „Es ist zum Heulen.“ Allerdings könne sie auch nicht den Kontakt von Anne S. zu den Pflegeeltern verbieten, dies würde die Frau noch mehr aus dem Konzept bringen, so die Richterin. Sie verbot den Angeklagten aber, dass sie noch einmal die Kinder von Anne S. sehen dürfen – im Gericht hatte eine zufällige Zeltnachbarin von einem Sommerurlaub auf Korsika erzählt, ein damals drei Jahre alter Junge von Anne S. sei täglich von Heidi H. misshandelt worden.

Die 27-Jährige S. hörte dem Urteil regungslos zu, saß danach lang allein im Gerichtssaal. Ihre Kinder leben nach Anordnung des Potsdamer Jugendamts derzeit im Heim. Zur Rolle der Behörden sagte von Bülow, diese hätten kaum Möglichkeiten der Einflussnahme besessen – daher seien auch Vorwürfe gegen die Ämter aus ihrer Sicht falsch (siehe Kasten).

Mit dem Urteil ist der Fall wohl noch nicht zu Ende. Die Verteidiger kündigten an, entweder Revision oder Berufung einlegen zu wollen – und im Falle einer weiteren Verhandlung von einem Gutachter die Glaubwürdigkeit der Belastungszeugen überprüfen zu lassen. Anwalt Bosdorf erklärte, Heidi H. sei schockiert über das Urteil. Ihr Ehemann hatte bereits während der Ausführungen von Richterin Bülow mehrfach mit dem Kopf geschüttelt.

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