Von Juliane Wedemeyer: Sieben mal zwei Meter
Sabine Popp war 19, als sie verhaftet wurde. Gestern erzählte sie in Potsdam Schülern über ihre Jugend in der DDR
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500 Mark waren der Preis für den Verrat. So viel hat ihr Freund dafür bekommen, dass er der Staatssicherheit berichtet hatte, dass sie es war, die die antisozialistischen Hetzparolen auf Straßen und Brückengeländer gesprüht hatte. Das steht in den Stasi-Unterlagen. Sabine Popp hatte mit Autolack Sprüche wie „Mauer weg“ oder „Freiheit statt Sozialismus“ auf den Asphalt geschrieben. Als die beiden Männer in Lederjacke sie abholten, goss das Mädchen gerade Blumen in der elterlichen Gärtnerei im Vogtland. In einem Wartburg fuhren sie Sabine Popp ins Gefängnis. Sie war 19 Jahre alt. Im November 1980 verurteilte der Richter sie zu fünf Jahren Haft und 2000 Mark Geldstrafe.
Vorn im Kinosaal Nummer 8 des UCI-Kinos in den Bahnhofspassagen steht jetzt eine 48-jährige Frau am Mikrofon. Sie steht vor 100 Schülern aus Potsdam und Umgebung und spricht. Leise und unaufgeregt. Es ist die letzte von sechs Veranstaltungen, die die Potsdamer Landtagsabgeordnete Saskia Funck (CDU) organisiert: „Campus Tour 2008“ heißt die Reihe, die Jugendliche über die DDR aufklären soll. „Das ist ja nun alles zwei Generationen her“, sagt eine Schülerin. Dabei sind die Eltern der 16-Jährigen selbst noch in der DDR aufgewachsen.
Die märkischen Jugendlichen wissen zu wenig über die jüngste deutsche Diktatur. Nur jeder dritte Schüler weiß überhaupt, dass die DDR eine Mauer errichtet hatte, die die Bürger an der Flucht in den Westen hinderte. Das zumindest ist das Ergebnis einer Studie, die der Zeithistoriker Klaus Schroeder von der Freien Universität erstellt hat. 70 Prozent der befragten Jugendlichen konnten nicht einmal die Hälfte von 18 Wissensfragen über die DDR beantworten. Die Studie ist der Grund, warum Saskia Funck, die im Sommer 1989 selbst über Ungarn in den Westen flüchtete, die Tour durch Brandenburg auf die Beine gestellt hat. Sie will die Wissenslücken füllen. Die Zeitzeugen Sabine Popp und Dieter Dombrowski, aber auch Studienautor Schroeder helfen ihr dabei. Darum haben die Zehntklässler eben den Spielfilm „Das Leben der anderen“ gesehen, der den Alltag im Überwachungsstaat DDR beschreibt. Und sie hören, was Dombrowski und Popp ihnen über ihre Jugend erzählen. Eine Jugend, deren größten Teil Sabine Popp in der Sieben-mal-zwei-Meter-Zelle im Frauenzuchthaus Burg Hoheneck verbracht hat. „Der einzige, zu dem ich menschlichen Kontakt hatte, war mein Vernehmer“, sagt sie. Wer genau hinsieht, erkennt in der Frau am Mikro das Mädchen, von dem sie erzählt. Es muss hübsch gewesen sein mit großen braunen Augen. Ein Mädchen, das mit ihrer Clique gern in die Disko geht in die Nachbardörfer im Vogtland, das gern Moped fährt. „Die Parolen habe ich immer so gesprüht, dass alle sie sehen auf dem Heimweg von der Disko“, sagt sie. Sie wollte, dass alle ihre Freunde und Schulkameraden sich darüber freuen. Schließlich machten alle Witze über die DDR, erzählten sich alle untereinander, dass sie am liebsten in den Westen auswandern würden.
Sabine Popp hat sich in der DDR eingesperrt gefühlt, trotz guter Noten durfte sie nicht studieren. Ihre Eltern hatten schließlich eine private Gärtnerei. Im Arbeiter- und Bauern-Staat sei das Grund genug gewesen für Schikanen. Und ihr Traum, einmal auf einem Pferd durch die amerikanische Prärie zu reiten, erschien unerfüllbar. Dass ihre Sprühaktionen auffliegen könnten, daran habe sie nie gedacht. Auch nicht daran, dass irgendjemand ihrer Freunde für die Stasi arbeiten könnte.
„Aber das kommt mir hier alles so schwarz gemalt vor, auch in dem Film“, sagt ein Jugendlicher. Nie scheine dort die Sonne und alles sei grau. Er könne sich nicht vorstellen, dass es wirklich so war. „Es war alles grau“, antwortet ihm Saskia Funck. Nach der Wende, als die Leute das erste Mal in den Westen gefahren sind, haben sie gesagt: Dort ist das Gras so grün.“ Und in Potsdam, da sei ihr nie aufgefallen, was für schöne Häuser dort stehen, denn die wären alle grau, ohne Farbanstrich gewesen.
Aber man habe natürlich trotzdem Spaß gehabt, mit den Freunden beim Tanzen etwa, oder in der Familie. Und natürlich habe man sich auch verliebt und Freude erlebt, erklärt Sabine Popp. Trotzdem sei es eben eine Diktatur gewesen. „Aber heute auf friedlichen Demos schlagen die Bullen auch einfach zu“, sagt ein Zehntklässler. „Das kann ich nicht beurteilen“, sagt Historiker Schroeder. Der Unterschied sei aber, das wohl niemand versuche, ihn persönlich zu zersetzen.
Auch ihr komme das alles einseitig vor, sagt eine junge Lehrerin aus Kleinmachnow. Eine Demokratie habe auch schlechte Seiten. „Und das hier kommt mir vor wie eine Wahlkampagne für Demokratie“. „Sie haben Recht“, sagt Saskia Funck. „Das hier ist eine Wahlkampagne für Demokratie.“
Ob sie nächstes Jahr wieder stattfinden wird, ist noch nicht klar. Die Tour wurde hauptsächlich mit Spenden finanziert.
Juliane Wedemeyer
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