Sport: Sieger von „Quer durch Potsdam“ machte das Gehen an der Havel hoffähig
Eine historische Betrachtung zu den Straßenläufen in der Landeshauptstadt
Stand:
Eine historische Betrachtung zu den Straßenläufen in der Landeshauptstadt Am Sonntag werden mehr als 3000 Teilnehmer des Drittel-Marathons (siehe Kasten) die Potsdamer Innenstadt bevölkern. Anlass für einen geschichtlichen Rückblick. Von Hans Groschupp „Über den kiesbedeckten Lustgarten stieb das Feld von dannen“, heißt es in einem Artikel des Verbandes Brandenburgischer Athletikvereine (V.B.A.V) vom 5. Mai 1926. „Pünktlich auf die Minute ging` s los, denn mit dem Schlage 4 Uhr ertönte der Startschuß und die Meute der Einzelläufer trat in Aktion“ Der damals führende Leichtathletikverein der Havelstadt, der V.f.L. Potsdamer Sportfreunde 04 veranstaltete das 8. „Quer durch Potsdam“. Zum zweiten Mal seit 1913 wurde neben einer Staffelkonkurrenz auch ein Einzellauf gestartet. Das Vorbild dafür war diesmal weniger der jährliche Großstaffellauf Potsdam – Berlin, der größte Straßenlauf der Welt, sondern der internationale Berliner Straßenlauf „Quer durch Berlin.“ War der Berliner Lauf über 25 km ein Wettkampf des Berliner Athletik Klubs (BAK), so möchte nun Potsdam im V.B.A.V., unter dessen Dach seit 1904 auch die Berliner organisiert sind, mit einem eigenen Lauf seine Position stärken. Dass das Laufen Mitte der 20er Jahre einen großen Aufschwung erfuhr und zu einem Massensport wurde, war den Olympiaerfolgen der finnischen Langstreckenläufer zu verdanken. Wahre Begeisterungsstürme begleiteten ihre Auftritte. Nicht in Amerika, wie immer gern behauptet wird, entstand die Laufbewegung sondern in Deutschland. Der Amerikaner G.T. Kirby nahm 1930 am Olympischen Kongress in Berlin teil. Er wohnte den Straßenläufen in Berlin und Potsdam bei. In einer Grußadresse beglückwünscht er den V.B.A.V. zu seiner Veranstaltung. „So sehr beeinflusst war ich von der Beobachtung des Laufes, daß ich als Präsident der Public Schools Athletik League New York sogleich empfahl, Schritte zur Abhaltung ähnlicher Läufe in die Wege zu leiten; Pläne mit diesem Ziel sind bereits im Entstehen“ Neue Straßenläufe schießen in Deutschland wie Pilze aus dem Boden. Fast alle heißen „Rund um“ oder „Quer durch“. Die Berliner S-Bahn verband die Sportbegeisterten der Reichshauptstadt mit jenen Potsdams. Heinz Cavalier, Chefredakteur von „Der Leichtathlet“ schreibt zu „Quer durch Potsdam“: „Potsdam war am Sonntag das Ziel Tausender. Die erholungsbedürftigen Berliner pilgerten hinaus ins Grüne! Die alte Residenzstadt machte in ihrem Maigewande ohne Zweifel den Eindruck, der ihr mit Recht zuerkannt wurde, und das ist: den der fünftschönsten Stadt der Welt. Die herrlich grünenden Alleen, die Fliedersträucher, die vielen Parks und das Wasser, kurzum Potsdam ist eine herrliche Stadt Schon als man vom Bahnhof kam, drückten einem geschäftstüchtige Jungen ein Programm (8 Seiten stark) in die Hand, vollkommen kostenlos. Das Publikum hatte großes Interesse am Lauf, denn alle Straßenzüge waren dicht besetzt“ In der Regel wurde „Quer durch Potsdam“ am 2. Maiwochenende veranstaltet. Immer eine Woche nach „Quer durch Berlin“ und zwei Wochen vor dem Großstaffellauf Potsdam-Berlin. Streckenführung und Länge wechselten. 1926 werden 10,4 km durch die Innenstadt gelaufen. Gestartet wird vor dem Stadtschloss auf dem Lustgarten. Das Ziel ist das Brandenburger Tor. Nach seiner Einweihung 1927 ist das Stadions Luftschiffhafen 1927 das Ziel von „Quer durch Potsdam“. Der Start des Staffelwettbewerbes befand sich am heute nicht mehr existierenden Jägerdenkmal in der Türkstraße. Und sportlich? Gaben lange die Berliner Vereine den Ton an. Es waren dies der S.C. Charlottenburg (SCC), der Berliner Sportklub (BSC), der Deutsche Sport-Club (DSC) und der Polizei-Sport-Verein (PSV). Als der „Verein für Leibesübungen (V.f.L.) Potsdamer Sportfreunde 04“ 1919 die Bühne betrat – er hatte sich aus dem 1917 aufgelösten, reinen Fußballklub „Hellas 04“ heraus gebildet –, war plötzlich, zumindestens in der Laufszene, ein ebenbürtiger Verein diesseits der Havel erstanden. Franz Wanderer vom Reichswehr Infanterie-Regiment Nr. 9 war der große Star des neuen Klubs. 1926 stellt sich der spätere dreifache Deutsche Meister im Marathonlauf dem Starter von „Quer durch Potsdam“. 40 Einzelläufer und 50 Staffeln zu je 10 Läufern aus 32 Vereinen und 5 Schulen werden auf die Strecke geschickt. Vergeben werden der Wanderpreis der Residenzstadt Potsdam sowie die Wanderpreise der Potsdamer Tageszeitung und des Berliner Tageblattes. Polizeipräsident von Zitzewitz und Stadtmedizinalrat Dr. Peters lassen es sich nicht nehmen, „trotz anderweitiger starker Inanspruchnahme anlässlich des Potsdamer Sportsonntags die Läufer im Auto zu begleiten.“ Sie beobachten einen spannenden Wettlauf. Wiese II, BSC, Horlemann, Cito, Wagner Cito, und Grob, SCC sind neben Wanderer die Favoriten. Wiese II macht Tempo. Zwei Kilometer vor dem Ziel können nur noch Wanderer und Horlemann folgen. Dann forciert Wanderer! Zu sehr! Wenige Meter vor dem Ziel verlassen ihn die Kräfte. Buchstäblich auf dem letzten Meter fängt ihn der 24 jährige Willi Horlemann ab und reißt die Arme hoch. Die Potsdamer sind nur kurz enttäuscht. Dann jubeln sie Wanderer und Horlemann gleichsam zu. Nach Beendigung des Laufes finden im Schützenhaus Preisverteilung und Siegesfeier statt. Der 1. Vorsitzende des V.f.L. Potsdamer Sportfreunde, Zschiesche, gedenkt in einer Rede der sportlichen Ereignisse des Tages und gibt der festen Zuversicht Ausdruck, dass Start und Ziel des nächstjährigen Laufes das neu entstehende Stadion im Luftschiffhafen sein möge. Der Potsdamer Polizei hatte es der Straßenlauf besonders angetan. Seit einer Verfügung des sozialdemokratischen preußischen Innenministers Severin von 1919 gibt es in Deutschland Polizeisportvereine. 1930 ist Graf Helldorf neuer Polizeipräsident in Potsdam. Unter seinem Patronat wird stets Ende September der Straßenlauf „Rund um Sanssouci“, bestehend aus einem 20k-km-Gepäckmarsch, einer Staffelkonkurrenz und einem Einzellauf über 6,5 km durchgeführt. Die Premiere des im Luftschiffhafen gestarteten „Quer durch Potsdam“ gewinnt der Sportfreund Walther vom hiesigen V.f.L. Horlemann von Cito Berlin wird 1927 Deutscher Meister über 25 000m. Nach dem Krieg wurde Willi Horlemann in der Sektion Leichtathletik und später im DVfL Verbandstrainer für Marathonlauf und Gehen. Der Sieger von „Quer durch Potsdam“ 1926 war es, der den deutschen Gehsport in den 50er und beginnenden 60er Jahren hoffähig machte. Unter der Ägide Horlemanns marschierten u.a. Potsdams Geher Gerd“ Adi“ Adolph, Hans-Joachim Pathus und Peter Frenkel in die Weltspitze. Der erfolgreiche Berliner Trainer Horlemann, er starb 1978, war auch Autor des ersten in der DDR erschienenen Sportfachbuches. Sein Thema : Marathonlauf!! Einen regelmäßigen Straßenlauf gab es vom Kriegsende bis zur Wiedervereinigung in Potsdam nicht mehr. Ausgenommen der beliebte Schüler-Staffellauf der Märkischen Volksstimme, der anfangs traditionell in der Türkstraße gestartet wurde, und ab Mitte der 80er Jahre der Sansouci-Marathonlauf. Wünschen wir heute dem Rundfunk Berlin Brandenburg bei der Geburt eines neuen Potsdamer Straßenlaufes gutes Gelingen. Das Attribut Wiedergeburt allerdings gebührt dem Potsdamer Jürgen Bruns, der 1993 die Preußische Meile fest im jährlichen Wettkampfprogramm installierte und damit als Erster die Lücke zu einer verloren gegangenen Tradition schloss. Veranstalter der zum Sparkassencup zählenden Preußischen Meile ist der Potsdamer Laufclub um Ulrike Bruns, Jürgen Straub und Olaf Beyer. Da nun auch der SC Potsdam um die große Riegerfamilie mit dem Potsdamer Frauenlauf nachlegt, braucht einem um die Zukunft des Potsdamer Straßenlaufes nicht bange zu sein. Im Gegenteil, es kommt ja nun im Juni auch noch der neue alte Sanssouci-Marathonlauf hinzu, der jetzt Schlössermarathon heißt. Wollen wir hoffen, dass die Läufergemeinde das Wettkampfangebot trägt. Aber warum eigentlich nicht? Was damals ging, geht heute. Die Zeiten ähneln sich.
Hans Groschupp
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: