Landeshauptstadt: Siegesgöttin aus Potsdam
Stadtführerin Fairon klopft „bei unbekannten Persönlichkeiten an die Tür“
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Innenstadt – Wer würde es nicht gern sehen: Das verdutzte Gesicht des Nachbarn, wenn am Samstagnachmittag eine Touristengruppe unangemeldet vor seiner Tür erscheint. Nicht auszudenken die Reaktionen, wenn deren Leiterin dann auch noch Einblick ins möglicherweise unaufgeräumte Wohnzimmer verlangt. Eine Stadtführung, die das wirkliche Gesicht der Landeshauptstadt offenbart! So jedenfalls klang es in der Ankündigung von Stadtführerin Gabriele Fairon: „Im Potsdamer Adressbuch geblättert. Bei unbekannten Persönlichkeiten an die Tür geklopft.“
Die Szenen, die man sich kaum auszumalen wagte, blieben jedoch aus: Mit dem „Adressbuch“ habe sie das historische Adressbuch gemeint, erklärt Fairon gleich am Treffpunkt vor der Bibliothek am Platz der Einheit und lacht. Das „Anklopfen“ verstehe sie im übertragenen Sinne. Aus der „Lass-Dich-überraschen“-Veranstaltung soll also nichts werden. „Das ist nicht der Menschenschlag hier“, vermutet die gebürtige Leipzigerin, die seit 1998 verschiedene Potsdam-Führungen anbietet, skeptisch. Die anfängliche Enttäuschung darüber wird bei dem zweistündigen Spaziergang jedoch wieder wettgemacht: Denn auch wenn die heutigen Bewohner der Häuser um den Platz der Einheit, in der Ebräer-, der York- und der Dortustraße von neugierigen Besuchen verschont bleiben, weiß Fairon umso mehr davon zu erzählen, was sich früher hinter den Fassaden abgespielte.
So berichtet sie von einer schicksalhaften Begegnung, deren Ergebnis noch heute auf dem Brandenburger Tor in Berlin zu bewundern ist. Sie fand vor mehr als zweihundert Jahren im Eckhaus am Platz der Einheit zur Ebräerstraße statt: Denn dort, im Wohnhaus des Kupferschmieds Emanuel Jury, traf der Berliner Bildhauer Johann Gottfried Schadow traf zum ersten Mal dessen Nichte. Die schöne Potsdamerin, so Fairon, habe im später Modell gestanden: Für die kupferne Siegesgöttin, die die vier Pferde der 1793 geschaffenen „Quadriga“ auf dem Brandenburger Tor lenkt.
Wenige Häuser vom Kupferschmied entfernt an der Westseite des Platzes der Einheit fuhr 1804 ein Mann „mit feuerrotem Haarschopf“ und einer hochschwangeren Frau mit Kutsche vor, erzählt Fairon. Der hohe Gast habe sofort für Gerede gesorgt und sei Stadtgespräch gewesen: Es war der Dichter Friedrich Schiller, der in Potsdam Station machte.
Für rothaarige Frauen dagegen habe der Platz, der früher ein sumpfiger See gewesen sei, lange Zeit das Todesurteil bedeutet: Denn hier hätten die Potsdamer ihre „Hexenproben“ durchgeführt. In einem Sack verschnürt wurden die Angeklagten ins Wasser geschmissen. Überlebten sie die Prozedur, lautete ihr weiteres Schicksal: Scheiterhaufen. Denn das Bündnis mit dem Teufel galt damit als erwiesen, so die Stadtführerin.Jana Haase
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