Homepage: Signifikante Änderungen
„Es gibt noch ein großes Potenzial zur Gestaltung des Wandels“ Der zweite Teil des UN-Weltklimaberichts führt zahllose Indizien für den Klimawandel auf
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Mit der weltweiten Aufmerksamkeit, die der Klimawandel durch die neuen UN-Berichte erlangt hat, haben sich auch zahlreiche Skeptiker zu Wort gemeldet. Die Argumentation ähnelt sich meist, der Klimawandel sei ein von umtriebigen Forschern herbeigeredetes Phantom. Dass mittlerweile weltweit kaum noch ein seriöser Wissenschaftler an der globalen Erderwärmung zweifelt, wird von den Skeptikern schnell mit Verschwörungstheorien begründet. Ohnehin würden alle nur noch dem goldenen Kalb Klimawandel hinterherlaufen, schließlich ließen sich für Forschungsprojekte zu diesem Thema zurzeit am leichtesten Gelder akquirieren.
Die Ergebnisse des aktuellen Berichts des Klimarats der Vereinten Nationen (IPCC - Intergovernmental Panel on Climate Change), der alarmierende Folgen des Klimawandels benannt hat, sprechen hingegen eine eindeutige Sprache. Der Klimawandel ist schon da und unabwendbar, so das Fazit eines IPCC-Workshops am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) am vergangenen Montag (PNN berichteten). Der anthropogene, also von Menschen verursachte Anteil an der Erwärmung habe in den letzten 30 Jahren viele physikalische und biologische Systeme der Erde bereits spürbar beeinflusst. Dafür haben die Forscher – viele davon vom PIK – für den vor Ostern vorgelegten zweiten Teil des IPCC-Berichts insgesamt über 29 000 Datensätze verschiedener Standorte ausgewertet. Ihr Ergebnis: „Mehr als 89 Prozent davon dokumentieren signifikante Änderungen, sie verändern sich in jene Richtung, die als Auswirkung der Klimaänderung erwartet wird.“ IPCC-Autorin Prof. Annette Menzel (TU München) spricht von einem „weltumspannenden Signal“ regionaler Temperaturveränderungen, sowohl am Boden als auch in Gewässern und Ozeanen. Im Gegensatz zu dem vorangegangenen UN-Bericht von 2001 sei nun eine direkte Verbindung mit dem menschlichen Einfluss nachweisbar. „Diese Aussage ist nun viel stärker“, betont Menzel.
Und da der Mensch gerne Beispiele hat, nennt die Klimaforscherin einige prägnante Veränderungen. Etwa die Kirschblüte im japanischen Kyoto. Seit 1300 Jahren liegen hier Aufzeichnungen der Mönche vor. In den vergangenen 50 Jahren ist die Blüte dort so früh wie nie zuvor zu beobachten gewesen. „Ein eindeutig signifikanter Trend“, so Menzel. Auch wurde in den 577 einzelnen Studien Effekte ausgeschlossen, die nicht dem Klimawandel zuzuordnen sind. So etwa bei der hochallergenen Ambrosie, die sich nicht nur wegen der Erwärmung, sondern vor allem durch Vogelfutter verbreitet.
Anders aber bei der Stechpalme. Das stachelige Gewächs hat sich mittlerweile bis an die Südküsten Norwegens und Schwedens vorangearbeitet. Ohne Erwärmung nicht denkbar. Auch die Wärme liebenden Zecken breitet sich weiter nach Norden aus, in Tschechien wurde sogar beobachtet, dass sie auf Bergen ganze 300 Meter weiter oben siedeln. Die stärksten Verschiebungen beobachten die Forscher indes bei den Lebensgebieten des Planktons in den Ozeanen. Hinzu kommen die abschmelzenden Gletscher, die mittlerweile traurige Berühmtheit erlangt haben, die Instabilität des Permafrostbodens, ein früheres Eintreten der Schneeschmelze, verfrühte und verlängerte Vegetationsperioden, Feuerlibellen in Deutschland und so weiter und so fort.
Und natürlich die Hitzewelle 2003. Dieser Sommer taucht bei fast allen Studien auf, egal ob es um Trockenheit, Gesundheit oder einen Vorgeschmack auf die nahe Zukunft geht. An die 35 000 Hitzetote in Südeuropa, vor allem Frankreich. In der Nacht vom 12. August 2003 fiel auch in Baden-Württemberg das Thermometer nicht unter 25 Grad. Am nächsten Morgen habe es in Europa tausende Tote gegeben, so PIK-Forscher Zbigniew Kundzewicz. Bei solchen hohen Minima kann sich der Körper von der Hitze des Tages nicht mehr erholen, für alte und kranke Menschen eine direkte Bedrohung. „Das war ein Blick in die Zukunft“, sagt Annette Menzel. Das könne uns schon bald alle zwei, drei Jahre blühen. Ab 2030, pflichte ihr Kollege Prof. Wolfgang Cramer vom PIK bei, würden solche Hitzewellen auch bei uns normal.
Mit den erschreckenden Ergebnissen des Berichts (demnächst öffentlich im Internet) ließen sich viele Zeitungsseiten füllen. Konsens unter den IPCC-Autoren war nun in Potsdam, dass die Phase der Beobachtung vorbei ist. Jetzt müsse schleunigst die Phase des Handelns eingeleitet werden. „Die Anpassungs- und Verhinderungspotenziale müssen nun auf breiter Ebene in der Öffentlichkeit diskutiert werden“, so Cramer. „Es gibt noch ein großes Gestaltungspotenzial.“ Allerdings nur, wenn man den Klimaschutz wirklich ernsthaft betreibe.
Was auf einen fundamentalen Umbau gesellschafterlicher wie wirtschaftlicher Prozesse hinausläuft, wirkt bis in die Generation unserer Urenkel hinein. Damit tut sich die Politik allerdings noch etwas schwer. Das Ringen um die Fassung des zweiten Teiles des IPCC-Berichts in Brüssel schildern die Autoren als äußerst zähe Marathonsitzung. Bis in die Morgenstunden des Karfreitags wurde gefeilscht. Nur die allersichersten Informationen seien in das Papier eingeflossen, so Cramer.
Sein PIK-Kollege Zbigniew Kundzewicz bemängelt sogar, dass der Bericht zu den Risiken des Klimawandels aus politischen Gründen amputiert worden sei. Politiker aus USA, China, Russland und Saudi-Arabien hätten gegen die Beschreibung der Risiken Einspruch erhoben. Um das Dokument zu retten, hätten sich die Wissenschaftler schließlich auf Kompromisse bei den Formulierungen einlassen müssen. Der Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Michael Müller (SPD) nennt es ein „Mürbemachen“ der Forscher durch die Politiker. Das Problem sei nun erkannt, werde aber noch nicht durchdrungen. „Der Täter ist überführt, nun müssen wir künftige Straftaten verhindern.“ Die UN-Berichte sollten wie ein Lehrbuch als Grundlage für weiteres Handeln gelten.
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