
© Andreas Klaer
Von Michael Meyer: Silber-Läufer und Schalke-Fan
Hans Grodotzki, Potsdams erster Olympiade-Medaillengewinner, feiert heute seinen 75. Geburtstag
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Als Hans Grodotzki zum ersten und einzigen Mal den Amerikaner Cassius Clay live boxen sah, konnte er nicht voraussehen, wie berühmt dieser Faustkämpfer später als Muhammad Ali werden sollte. Und er ahnte nicht, wie sehr jene Tage in Rom sein eigenes Leben ändern sollten. „Meine Medaillen haben mich sportlich zufrieden gemacht, aber nicht glücklich. Es ist dann einiges schiefgelaufen in meinem Leben“, sagt der seit Jahrzehnten in Potsdam lebende Thüringer. Bei den Olympischen Spielen 1960 in Rom lief Hans Grodotzki über 5000 und 10 000 Meter jeweils zu Silber. Potsdams erster olympischer Medaillengewinner wird heute 75 Jahre alt.
Grodotzki wirkt immer noch drahtig und agil, auch wenn das Haupt des „blonden Hans“, wie er jahrzehntelang gerufen wurde, inzwischen ergraut ist. Und er kann begeistert und begeisternd erzählen, wie es damals war, als es zwei deutsche Staaten gab, aber nur eine deutsche Nationalmannschaft. Als vor Olympischen Spielen noch sogenannte deutsch-deutsche Wettkämpfe ausgetragen wurden, um diese Nationalteams zu ermitteln. Erst bei Olympia 1968 in Mexiko traten zwei getrennte Mannschaften an.
„Die gesamtdeutsche Ausscheidung 1960 für Rom war für mich kein Problem“, erinnert sich Grodotzki. „In Schweinfurth blieb ich über 10 000 Metern vor 15 000 Zuschauern in 28:57,8 Minuten als erster Deutscher unter der 29-Minuten-Grenze und zwei Wochen später bei der 5000-Meter-Entscheidung in Erfurt hatte ich vor 40 000 Zuschauern auch einen klaren Heimvorteil“. Nach Kriegsende hatte der im ostpreußischen Preußisch-Holland geborene Grodotzki im thüringischen Menteroda eine Heimat gefunden. Hier wurde er Bergmann, arbeitete in Volkenroda im mit 1110 Metern tiefsten Kali-Schacht Europas, ehe sein läuferisches Talent entdeckt und so gefördert wurde, dass er sich ganz auf seinen Sport konzentrieren konnte.
1955 wurde Grodotzki zu Aktivist Brieske-Senftenberg delegiert. „Dort habe ich es aber nur ein halbes Jahr ausgehalten, dann war ich zurück“, erinnert er sich. Der Leichtathlet fuhr wieder in den Schacht ein, lief nebenbei und wurde mit Gründung der Sportklubs in der DDR für den Armeesportklub Vorwärts geworben. „Für drei Jahre – habe ich damals gedacht“, erzählt Grodotzki, der nun von seinem Trainer Erich Bock beim ASK Erfurt in nur anderthalb Jahren in die Nationalmannschaft geführt wurde. Prompt kam seine Delegierung zum ASK Vorwärts Potsdam, wo Trainer Curt Eins mit Fritz Janke, Siegfried Valentin und Hermann Buhl schon Weltklasseläufer beisammen hatte.
„Meine erste Zeit hier in Potsdam war schwer. Ich war allein, auf mich selbst gestellt und musste mich gegen starke Konkurrenz behaupten", erinnert sich Grodotzki, der trotzdem seinen Erfolgsweg ging. Bei den Olympischen Spielen 1960 feierte er seine größten Erfolge. Über 5000 Meter musste er in 13:44,6 Minuten nur dem Neuseeländer Murray Halberg den Vortritt lassen, über 10 000 Meter wurde er in 28:37,0 Minuten Zweiter hinter Pjotr Bolotnikow aus der Sowjetunion (28:32,2). Zurück in der Heimat, wurde Hans Grodotzki gefeiert. „Die Welt war ersteinmal ein bisschen in Unordnung geraten, ich musste das alles erst einmal verkraften“, weiß er noch. Er reiste zum berühmten Silvesterlauf nach Sao Paulo, von wo er einen riesigen Pokal für seinen zweiten Platz mitbrachte. Nach einem sportlich eher mageren nacholympischen Jahr war Grodotzki 1962 wieder auf einem verheißungsvollen Weg. Im Potsdamer Ernst-Thälmann-Stadion war er aus dem vollen Training heraus die 10 000 Meter in Jahresweltbestzeit von 28:48 Minuten gelaufen, ehe ihm bei der Europameisterschafts-Qualifikation über den Kilometer in Malmö 200 Meter vor dem Ziel die Sehne im linken Bein riss – Grodotzkis sportliche Karriere war jäh beendet.
Der Läufer kümmerte sich im Armeesportklub Potsdam fortan um Großveranstaltungen; zunächst weiter als Offizier, ab 1981 als Zivildienstbeschäftigter. Er heiratete 1964 die Turnerin Karin Jorcic, bekam mit ihr eine Tochter und machte an der Pädagogischen Hochschule seinen Diplom-Sportlehrer. Richtig glücklich wur- de er aber nicht. „Meine Erfolge in Rom waren wie ein Klotz am Bein“, gesteht er. „Ich war immer in einer gewissen Schublade. Hans, mach mal dies, Hans, fahr mal dorthin, hieß es stets. Ich fühlte mich immer wie eine Art Vorzeigeobjekt und ich konnte nie Nein sagen.“ Nach der politischen Wende wurde er von der Bundeswehr übernommen, ehe er bis zur Rente noch einige Jahre in der Verwaltung einer Fluggesellschaft arbeitete. 1991 erhielt er am Rande der Deutschen Meisterschaften in Hannover vom Deutschen Leichtathletik-Verband den renommierten Rudolf- Harbig-Gedächtnispreis. „Stellvertretend für alle DDR-Leichtathleten“, erklärt er.
Für den Sport begeistert sich Hans Grodotzki nach wie vor. In seiner Plattenbau-Wohnung in der Waldstadt, in der er seit 1964 lebt und die wichtigsten Trophäen seiner Laufbahn aufbewahrt, verpasst er kaum eine Sportsendung – und schimpft gelegentlich schon laut los. „Wenn ich mir heute anhören muss, mit welchem Mittelmaß sich viele Leichtathleten zufrieden geben, geht mir die Hutschnur hoch“, erklärt er. Die größte Freude im Potsdamer Sport bereiten ihm derzeit Turbines Fußballerinnen. Ansonsten schlägt das Herz des bekennenden Fußball-Fans, der Ehrenmitglied Rot-Weiß Erfurts ist, für den FC Schalke 04. Grodotzki trat nach der Wende in den Verein ein, hat beim Traditionsklub die Mitgliedsnummer 21 102 und daheim ein Schalke-Trikot mit seinem Namenszug und der Nummer 60 an der Wand zu hängen. Zu seinem heutigen 75. Geburtstag, den er mit der Familie und einstigen Weggefährten feiert, wünscht er sich daher neben Gesundheit vor allem, dass Schalke mal wieder Deutscher Fußball-Meister wird. „Wenn ich das noch erleben könnte“, sagt der Potsdamer, der 1960 in Rom Cassius Clay im olympischen Halbschwergewichts-Finale gegen den Polen Zbigniew Pietrzykowski siegen sah.
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