Landeshauptstadt: Sorge um Potsdams Oberschulen
Brief des Lehrerrates der Fontane-Schule an die Stadtverordneten: Mehr Sonderpädagogen für Inklusion
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Waldstadt II - Kommt nach dem Pisa-Schock nun der Inklusions-Schock? Mit einem alarmierenden Brief hat sich der Lehrerrat der Potsdamer Fontane- Oberschule an die Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung gewandt. Darin bringt die Lehrerschaft ihre Sorge darüber zum Ausdruck, dass es zunehmend die Oberschulen seien, die lernschwache und behinderte Schüler aufnehmen müssten – ohne jedoch über die Voraussetzungen für diese Inklusion zu verfügen. Im Bildungsausschuss am Dienstagabend nannte eine Lehrerin der Fontane-Oberschule den Brief „einen Hilferuf“.
Gemäß einer Resolution der Vereinten Nationen (UN) sollen Kinder mit einem Förderbedarf unter dem Stichwort Inklusion künftig nicht mehr an Förderschulen, sondern an normalen Schulen unterrichtet werden. So soll allein die Fontane-Oberschule im kommenden Schuljahr 14 Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf aufnehmen, heißt es in dem Brief. Und weiter: „Das würde einen Anteil der Förderschulen von etwa 20 Prozent an der Gesamtschülerzahl der neuen 7. Klassen bedeuten.“ Das Problem: Die Fontane-Oberschule habe für die erste Sekundarstufe nur einen Sonderpädagogen „und 26 Lehrerinnen und Lehrer ohne sonderpädagogische Ausbildung“ zur Verfügung. Der Lehrerrat stellt die Frage, wie „unter diesen Bedingungen der Bildungs- und Erziehungsauftrag für Schüler mit Förderbedarf und vor allem natürlich auch für die Schüler, die keinen Förderbedarf haben, erfolgreich umgesetzt werden“ soll.
Die Oberschule in der Potsdamer Waldstadt habe bereits gegenwärtig die Aufgabe, zwei Schüler aus Afghanistan zu unterrichten, ohne ein zusätzliches Kontingent an Stunden erhalten zu haben. Die beiden Schüler beherrschten weder die deutsche noch die englische Sprache; von den Lehrern spreche niemand Persisch. „Integration beginnt mit Kommunikation!“, schreiben die Lehrer und werfen die Frage auf: „Wer übernimmt die Verantwortung dafür, dass diesen Kindern möglicherweise nie eine wirkliche Chance zur Integration geboten wird?“
Selbst Brandenburgs Bildungsministerin Martina Münch (SPD) erklärte gestern, das Thema Inklusion werde die Schullandschaft nachhaltiger beeinflussen als der Pisa-Schock im Jahr 2001. Es gehe um Chancengleichheit für die 16 000 Kinder mit Förderbedarf im Land. Erste Schritte zur sogenannten inklusiven Schule seien bereits getan. So arbeiteten an den 417 staatlichen Grundschulen „schon“ 427 Sonderpädagogen. „Eine schöne Zahl“, kommentierte gestern Privatdozentin Karin Salzberg-Ludwig die Münch-Rechnung. Nicht jeder dieser genannten Sonderpädagogen hätte eine volle Stelle – ganz davon abgesehen, dass ein Sonderpädagoge pro Schule nicht ausreichen werde, um erfolgreich Inklusion zu machen. Die Wissenschaftlerin machte darauf aufmerksam, dass im Bereich Sonderpädagogik der Universität Potsdam „der letzte Professor vor vier Jahren gegangen ist“. 2001 sei der Beschluss zur Auflösung der Sonderpädagogik gefasst worden. Zwar habe die rot-rote Koalition umgesteuert, doch der erste neue Professor werde nicht vor 2013 berufen sein. „Erst fünf Jahre später sind dann die ersten Lehrer fertig – frühestens 2018“, erklärte Salzberg-Ludwig den PNN.
Der Lehrerrat der Fontane-Oberschule fragt sich ferner besorgt, welchen Stellenwert die vier verbliebenen Oberschulen in Potsdam künftig noch haben werden. Mehrere Oberschulen seien in Potsdam geschlossen worden, da sich immer mehr Eltern und Schüler im Ü7-Verfahren – dem Übergang von der Grund- zur weiterführenden Schule – für Gesamtschulen entscheiden.
Wie Eckhard Dörnbrack vom Staatlichen Schulamt in Reaktion auf den Lehrer-Brief erklärte, sei die Gründung einer weiteren Gesamtschule in Potsdam auf die große Nachfrage zurückzuführen. Zur Inklusion schreibt Dörnbrack, einschließlich der integrierten Grundschulstufe verfüge die Fontane-Oberschule über drei Sonderpädagogen – die übrigen Lehrer würden durch diese „angeleitet“. Ferner heißt es, auch den Gesamtschulen würden Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf zugewiesen.
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